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Geschichte
Franz von Rintelen
Marineoffizier und Meisterspion im Ersten Weltkrieg
Andreas von Klewitz
Es dürfte höchst selten vorkommen, dass sich ein Geheimdienstchef bei einem geschnappten gegnerischen
Agenten im Nachhinein für die schlechte Behandlung entschuldigt. Bei Kapitän- leutnant Franz von Rintelen war es der Fall. Während des Ersten Weltkriegs als deutscher Spion und Saboteur in den USA eingesetzt, zeichnete er verant- wortlich für die Zerstörung und Beschä- digung von nicht weniger als 32 briti- schen Schiffen, die mit Waffen und Muni- tion nach Europa unterwegs waren. Dass man in England über solche Art Kriegs- führung nicht gerade begeistert war, ver- steht sich von selbst. Rintelen, durch ein Telegramm nach Berlin zurückbeordert, wurde auf seiner Heimreise festgenom- men und in London vom Chef des briti- schen Marinegeheimdienstes Reginald „Blinker“ Hall verhört. Auf Spionage stand, wie der Fall des ersten im Tower erschossenen deutschen Geheimagen- ten Carl Hans Lody zeigte, üblicherweise der Tod. Dass Rintelen aus der „Daily Mail“ erfuhr, dass er selbst schon hin- gerichtet sei, wird ihn nicht gerade auf- gemuntert haben. Es war ein makabrer Schachzug, wahrscheinlich von Hall aus- gedacht, um den kaiserlichen „007“ in die USA abzuschieben. Dort verbrachte Rintelen nach seiner Verurteilung meh- rere Jahre im Zuchthaus, was ihn nicht davon abhielt, nach dem Krieg nach England überzusiedeln, ausgerechnet in jenes Land, das sein Schicksal mit- verantwortete. Reginald Hall erinnerte sich später reumütig an diese Tatsache. In Rintelens Buch „The Dark Invader“ (1933) ist ein Brief von ihm abgedruckt, in dem er beteuert, „wärmste Sympa- thie“ für den Autor zu empfinden. Dem Lob schließt sich im Vorwort ein gewis- ser Alfred Edward Woodley Mason an. Mason, der im Ersten Weltkrieg als Major bei den Royal Marines gedient und sich als Schriftsteller einen Namen gemacht hatte, konstatiert, dass Rintelens Erleb- nisbericht ein besserer Beitrag gegen den Krieg sei als manches mehrbändige Werk zu dem Thema. Große Worte. Aber
der Person Rintelens wohl angemessen. Denn wenngleich vielfach angefeindet, war er ein echter „Gentleman-Spion“, der bei der Durchführung seiner Sabo- tageakte stets darauf achtete, dass kein Unschuldiger zu Schaden kam.
Franz von Rintelen Anfang 1919
Franz Dagobert Johannes von Rintelen wurde am 19. August 1878 als Sohn des preußischen Justizbeamten und Politi- kers Friedrich Ferdinand Ludwig Rinte- len in Frankfurt an der Oder geboren. Ob er, wie verschiedentlich angegeben, von der Familie von Kleist adoptiert wurde und daher das Adelsprädikat „von“ bzw. den Namen „Rintelen von Kleist“ führte, ist nicht eindeutig festzustellen, jeden- falls heiratete er in die jüdische Familie von Kaufmann-Asser ein und wurde 1910 Vater einer Tochter. Beruflich war er im Bankwesen tätig. Dabei hatte er schon früh Verbindungen in den angelsächsi- schen Raum und arbeitete einige Jahre in einem Londoner Bankhaus, bevor er 1905 das erste Mal nach New York kam. Damals soll er bereits für die Berliner Dis- conto-Gesellschaft tätig gewesen sein, deren US-Repräsentant er wurde.
Bei Kriegsausbruch diente Rintelen als Reserveoffizier im Admiralstab in Berlin. Hier wurde er in den ersten Augustta- gen 1914 mit der unerfreulichen Aufgabe betraut, einen Brief des Außenministers über den bevorstehenden Kriegseintritt Englands an die Marine zu überbringen. Wie viele andere Offiziere war Rintelen über die zögerliche Haltung der deut- schen Regierung und deren Zwist mit der Marineführung enttäuscht. Die Unterle- genheit der deutschen Flotte war ihm durchaus bewusst. Für ihn kam daher nur ein Überraschungsangriff in Frage, aber bis auf einige wenige Einzelerfolge wie die Mittelmeerfahrt des Admirals Sou- chon, dem es nach Beschießung feind- licher Häfen gelungen war, mit den Kreu- zern goeben und bResLau in die Dardanel- len einzulaufen, befand sich die Marine in der Defensive.
Wenigstens erhielt Rintelen durch Sou- chons Handeln die Gelegenheit zu einem Spezialauftrag. In seinem Buch beschreibt er, wie er angewiesen wurde, fünf Millionen Reichsmark in die Türkei zu schaffen. Dies gelang dem gewieften Banker mit einer Reihe bewährter Tricks, wie er sie schon vor Kriegsausbruch zur finanziellen Unterstützung des Ostasi- engeschwaders des Grafen Spee und anderer deutscher Flottenverbände angewandt hatte. Nach dem Fall von Antwerpen erhielt er den Auftrag, von einem Zeppelin aus Luftaufnahmen von London zu machen. Schließlich gelangte er zum Flottenkorps nach Flandern, wo er das erste Mal mit dem desaströsen Waffen- und Munitionsmangel der deut- schen Truppen konfrontiert war. Damit begann seine eigentliche Spionagetä- tigkeit. Nachdem ihm von verschiede- nen Stellen mitgeteilt wurde, dass eine zufriedenstellende Waffenversorgung aus eigenen Beständen nicht möglich sei, reiste er in geheimer Mission ins neutrale Dänemark. Hier florierte der Waffentransfer ungeachtet der Tatsa- che, dass die dänische Regierung eine Waffenausfuhr aus ihrem Land untersagt hatte. Rintelen mochte nicht tatenlos
34 Leinen los! 12/2020
Foto: Wikipedia


































































































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