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Geschichte
New York – historische Postkarte ca. 1910
Franz von Papen wohl im Jahr 1915
sche Erfindung vorzuweisen. Es handelte sich um eine Art Stift oder Füllfederhal- ter, in dem sich zwei Kammern mit zwei durch eine Kupferplatte voneinander getrennten Säuren befanden. Wurde die Trennplatte durch die Säuren zerstört, reagierten die Flüssigkeiten miteinander und entfachten einen Großbrand. Es war genau das Mittel, das Rintelen für seine Zwecke benötigte. Nachdem ein erster Anschlag an einer Fehlzündung schei- terte, konnte ein zweiter mithilfe irischer Stauleute erfolgreich durchgeführt wer- den. Sie brachten Dr. Scheeles „Zigar- ren“ unbemerkt an Bord des Dampfers S.S. phoebus, der wie geplant auf hoher See in Brand geriet und nach Liverpool geschleppt werden musste. Zu Scha- den kam wohlgemerkt niemand. Rin- telen hatte nämlich ausdrücklich Befehl
gegeben, die Brandsätze nicht in denje- nigen Lasträumen anzubringen, in denen sich die Munition befand. Er wollte nach eigener Darstellung nicht ein Schiff ver- senken, das einer neutralen Nation ange- hörte, und nicht unschuldige Menschen in den Tod schicken.
Nach dem ersten geglückten Anschlag folgten bald weitere. Zudem eröffnete Rintelen „Filialen“ in Boston, Philadel- phia und Baltimore, allerdings verzich- tete er bald auf die Hilfe der Iren, die sich in ihrem blinden Hass gegen Eng- land über alle Vorsichtsmaßnahmen hin- wegsetzten. So gelang es ihm im letzten Augenblick, einen Brandsatz vom eng- lischen Postboot ancona entfernen zu lassen, das keinerlei Munition, dafür aber Passagiere mit sich führte. Schwie- rig gestaltete sich auch der Umgang mit Dr. Scheele. Der findige Chemiker ver- langte plötzlich 10.000 Dollar Schwei- gegeld, eine Summe, die man ihm erst durch eine fingierte Unzuchtsaffäre wie- der abpressen konnte. Trotz dieser und anderer Hindernisse war Rintelen stän- dig bemüht, seine Mission auf jede mög- liche Weise voranzutreiben. Dabei nahm er über seine Firma Kontakt mit dem rus- sischen Militärattaché in Paris auf, dem er anbot, amerikanische Waffen nach Russ- land zu transportieren. Obgleich keines der Schiffe jemals seinen Bestimmungs- ort erreichte, schöpften die Russen kei- nen Verdacht.
Rintelen zog es dennoch vor, seine Schein- firma aufzulösen. Auf der Spur war man ihm bereits. Nachdem in Marseille an Bord eines aus Amerika kommenden Dampfers ein Brandsatz entdeckt wor- den war, begann die New Yorker Polizei
zu ermitteln. Auch London war, wie er auf einer Abendgesellschaft erfuhr, über die „Bande“ unter der Leitung eines deut- schen Offiziers informiert. Dennoch gelang es ihm, seine Sabotageakte fortzu- setzen. Er gründete eine neue Tarngesell- schaft, die „Mexico North-Western Rail- way Company“, und machte mittels der Erfindung eines jungen deutschen Inge- nieurs zur Zerstörung von Schiffsschrau- ben zwei Waffentransporter manövrier- unfähig. Nebenher betätigte er sich als Gewerkschafter, um Hafenarbeiter zum Protest gegen die amerikanischen Muni- tionslieferungen aufzuwiegeln. Seine Fachvereinigung mit dem scheinheiligen Namen „Labour’s National Peace Coun- cil“ war derart erfolgreich, dass sich sogar US-Präsident Wilson bereitfand, eine Abordnung derselben in Washington zu empfangen. Während es aus terminlichen Gründen nicht dazu kam, konnte Rintelen andere Erfolge verzeichnen. So traf er in einem New Yorker Hotel den mexikani- schen General und Ex-Präsidenten José Victoriano Huerta Márquez, mit dem er einen eventuellen Kriegseintritt Mexi- kos auf der Seite Deutschland erörterte. Schließlich nahm er Verbindung mit dem irischen „Activist Committee“ in New York auf, um den Zeitpunkt eines antibritischen Aufstands in Irland zu besprechen und die Beteiligten mit Waffen und Munition zu versorgen.
Während er für seine Aktionen aus Ber- lin stets grünes Licht erhielt, war sein Ver- hältnis zur deutschen Gesandtschaft in Washington denkbar schlecht. In seinem Buch beklagt Rintelen, dass Papen ihm zwischenzeitlich einen mit seinem ech-
An den Spion Carl Hans Lody erinnert diese Plakette in Lübeck
36 Leinen los! 12/2020
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