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Mensch.Schifffahrt.Meer.
Kampfmittelsprengung in der Ostsee
Latente Gefahr für
Mensch und Umwelt
Das Problem „Munition im Meer“ wird seit Jahrzehnten verdrängt
Kurt-Ewald Finke
AufdemMeeresgrundderNord-und Ostsee befinden sich zahlreiche Bomben, Minen und andere Typen von Munition, die bei Kriegshandlungen, Ma- növern oder im Rahmen gezielter Entsor- gung im Anschluss des Ersten und Zwei- ten Weltkrieges im Meer versenkt wurden. Seit mehr als 70 Jahren rotten 1,6 Mio. t Munition aus dem Zweiten Weltkrieg auf dem Meeresgrund in der deutschen Nord- und Ostsee vor sich hin: Exper- ten wie Jens Sternheim, Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schles- wig-Holstein (MELUR SH) –„Sonderstel- le Munition im Meer“, und Vorsitzender des BLANO Expertenkreises Munition im Meer schlagen seit Jahren Alarm.
Geht es nach den Experten, sollen die Sprengkörper, Torpedos und andere Mu- nition in den nächsten Jahrzehnten gebor- gen werden. In der deutschen Nord- und Ostsee vergammelt aber nicht nur kon- ventionelle Munition, sondern auch chemi- sche Waffen. Rund 90 t chemische Muniti- on befinden sich in der Nordsee, 5.000 t in der Ostsee. Geschätzt, auf der Grundlage von Archivunterlagen. Tabun, Sarin, Phos- gen, Senfgas – erfunden, um grausam zu töten, gedankenlos entsorgt. Der Staat hat
dieses Thema jahrelang verdrängt, jetzt muss es endlich in einem großen Maßstab angegangen werden.
Da die Munitionsaltlasten nach Einschät- zung der verantwortlichen Stellen des Bundes bislang keine generelle, groß- räumige Gefährdung der Umwelt über die lokalen, betroffenen Flächen hinaus darstellen, aber auch da leistungsfähige Bergungstechnologien gegenwärtig noch nicht zur Verfügung stehen, wurde das Be- lassen von Altmunition im Meer bislang in der Regel als beste Option angesehen. Die Beseitigung ist natürlich auch eine Frage der Finanzierung. Das Bergen ei- nes einzigen Sprengkörpers kostet rund 30.000 Euro. Der Bund schiebt die Verant- wortung den Ländern zu. Vielversprechen- de Ansätze, die es im Laufe der Zeit immer mal wieder gab und gibt, verlaufen am En- de im Sande. Die Küstenländer sehen da- gegen den Bund als Rechtsnachfolger des Dritten Reiches in der Pflicht.
Die wenigen kritischen Stimmen, die die- se Verhältnisse anprangern, werden nicht gehört. Dennoch, die Fachleute sind sich einig: Wenn wir das Problem jetzt nicht angehen, wird es immer gefährlicher und noch viele zukünftige Generationen be- schäftigen.
Ein weiterer Knackpunkt: es gibt in Deutschland immer weniger Fachleu- te, die sich mit den chemischen Kampf- stoffen beschäftigen. Die bundeseige- ne „Gesellschaft zur Entsorgung chemi- scher Kampfstoffe und Rüstungs-Altlas- ten“ – kurz GEKA – im niedersächsischen Munster ist die einzige offiziell zugelas- sene Stelle, die sie in Deutschland ver- nichten darf. Vernichtet – genauer: ver- brannt im Plasmaofen bei einer Tempe- ratur von 20.000 Grad – werden im nie- dersächsischen Munster Rüstungsaltlas- ten aller Art: von schwach kontaminier- ten Laborproben über vergiftete Böden bis hin zu chemischen Kampfstoffen wie Lost, Sarin, Clark 1 oder Clark 2. Hier kommen die Anlagen an ihre Grenzen. Würde die gesamte Munition auf einen Güterzug verladen, hätte dieser eine Länge von 3.000 km – würde also von Kiel bis Rom reichen.
Zunehmend ist auch die Zahl der Fund- meldungen bei der 2012 eingerichteten „Zentralen Meldestelle für Munition im Meer“. Hier gehen jährlich bis zu 270 Mel- dungen ein. Diese beinhalten teils mehre- re Kampfmittel oder kampfmittelverdäch- tige Objekte, die an den Küsten und im Meer gefunden werden. 7
Wie viel Zeit bleibt uns noch: der 20 m lange Kontrollraum Arbeitsplatz der Wasserschutzpolizei im Maritimen der GEKA Sicherheitszentrum (MSZ) in Cuxhaven
20 Leinen los! 10/2020
Foto: Wasserschutzpolizei Niedersachsen
Foto: SWR 2
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