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Der Schatz von nebenan Kampf und Suche nach der Ladung der lutine
Roland Hanewald
Man erwähne gegenüber einem Kenner der See und Liebhaber von Gold- und Schatzgeschichten das Wort Terschelling, und der Name Lutine wird als nächstes fallen. Es handelt sich um eines der berühmtesten und legendärsten Schatzschiffe aller Zeiten.
Die schwimmende Schatztruhe la lutine (Der Quälgeist) wurde 1785 in Toulon gebaut und fiel acht Jahre spä-
ter in die Hände der Engländer. Ab Som- mer 1799 war das Schiff in Yarmouth stationiert. In diesem Jahr flammt über Europa die Fackel des Krieges, die na- poleonische Geißel peitscht den Kon- tinent. Britische Kaufleute in Hamburg geraten durch die französische Blo- ckade an den Rand des Konkurses, ein dringender Geldnachschub ist not- wendig. Auf eine vereinbarte Anleihe hin stellt London 1,5 Mio. Pfund Ster- ling bereitwillig zur Verfügung; für den Transport wird die bewaffnete Fregat- te lutine abkommandiert. Anfang Ok- tober 1799 werden 1.900 Gold- und Sil- berbarren, dazu zahlreiche Fässer und Kisten mit gemünztem Gold auf das Schiff verladen. Gerüchten zufolge auch noch 147.000 Pfund Besoldung für die Truppen auf Texel, abzuliefern auf der Rückreise. Der deutsch-englische Kauf- mann John Wienholt nimmt die Gunst der Stunde wahr, um 40.000 Pfund in Goldbarren mit auf die Reise zu neh- men; der Prinz von Oranien steuert ein Kontingent Brillanten bei. Über die As-
Die lutine kurz vor dem Untergang
sekuranzgesellschaft Lloyds hoch ver- sichert, läuft die lutine am frühen Mor- gen des 9. Oktober 1799 aus.
Ende der Reise
Noch am gleichen Abend um 22 Uhr ist die Reise zu Ende. In einem heulenden Orkan gerät die lutine im Vliegat zwischen Vlie- land und Terschelling auf die Sände und sinkt um halb drei am nächsten Morgen. Alle an Bord befindlichen Personen kom- men dabei ums Leben.
Es wird gemunkelt, dass der Matrose John Rogers die Katastrophe überlebt habe. Die britische Admiralität bemühte sich jedoch, die Identität dieses Mannes ge- heimzuhalten, weil er vielleicht Kenntnis von einem Navigationsfehler als Unglücks- ursache hatte, was sich auf den Versiche- rungsstatus ausgewirkt hätte.
Lloyds erstattet den Verlust, ohne mit der Wimper zu zucken. Schon zwölf Tage nach
dem Untergang der lutine geht eine Er- satzladung ab und kommt auch glücklich an. Und jetzt beginnt die Jagd nach dem gewaltigen Schatz . . .
Da sich die Niederlande zu diesem Zeit- punkt wieder einmal mit England im Kriegszustand befinden, wird sofort von Amts wegen Anspruch auf die Beute er- hoben. Ein paar Fischern gelingt es, eine kleine Anzahl von Goldbarren zu bergen, dann versinkt das Schiff im Mahlsand. Zwi- schen 1800 und 1801 heben Schatzsucher 58 Gold- und 99 Silberbarren sowie 41.697 spanische Silbermünzen aus dem Wrack. Anno 1814 beginnt der Bürgermeister von Terschelling eine kostspielige Suchaktion. Amtlich bekanntgegebenes Resultat: 17 Münzen. 1838 gehen britische Taucher zu Werke; Erfolge werden keine vermeldet, obwohl Sachkenner vermuten, dass ge- rade in diesem Fall mit gezinkten Karten gespielt wurde – man sah die Mannen tri- umphierend umhertanzen. Zudem ist man
Geschichte
Alte „Schatzkarte“ mit der Position der lutine im Vliegat
Leinen los! 10/2020 41
Fotos (4): rh
Gemälde: unbekannter Künstler, Behouden Huys, West-Terschelling


































































































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