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Geschichte
Von der Eröffnung bis zur Gegenwart 125 Jahre Nord-Ostsee-Kanal
Hans Jürgen Witthöft
Teil 2
Voller Stolz blickten alle Beteiligten auf das in acht Jahren harter Ar- beit geschaffene Werk – auf den neuen künstlichen Wasserweg, der endlich ei- ne leistungsfähige Verbindung zwischen Nord- und Ostsee bot und mit dem sich der längere Seeweg um das Kap Skagen und die dänischen Meerengen vermeiden ließ. Der schlichte Arbeitstitel war „Nord- Ostsee-Kanal“ und zu seiner feierlichen Eröffnung hatte das Deutsche Reich mit Kaiser Wilhelm II. an der Spitze für Juni 1895 nach Hamburg und Kiel eingeladen. Dem damaligen Zeitgeist folgend wurden es pompöse mehrtägige Feiertage. Mit ihnen sollte dem deutschen Volk und den internationalen Gästen demonstriert wer- den, zu welchen großen technischen Leis- tungen das erst seit gut zwei Jahrzehn- ten geeinte Deutsche Reich imstande war. Friedliches Wirken und Seemachtsambiti- onen bildeten die Hintergrundfolie.
Alle deutschen Landesfürsten und zahl- reiche Persönlichkeiten aus Regierung, Militär, Wirtschaft, Diplomatie und Po- litik sowie eine beachtliche Zahl auslän- discher Fürstlichkeiten und hoher Wür- denträger nahmen an den Feierlichkei- ten teil. Dafür waren Kosten in Höhe von 1,7 Mio. Mark veranschlagt. Durchaus keine kleine Summe, gegen deren Be- reitstellung es von Seiten der Oppo- sition im Reichstag Widerstand gege- ben hat.
Das ganze Geschehen nahm am 19. Ju- ni in der festlich geschmückten Freien und Hansestadt Hamburg seinen An- fang. Einer der Höhepunkte dort war das Festbankett im Rathaus, an dem außer 64 Gästen an der Fürstentafel etwa 400 weitere Personen teilnahmen. Am spä- ten Abend begab sich dann der Kaiser an Bord seiner Yacht hoheNzollerN zur Fahrt in Richtung Brunsbüttel. Am Mit- tag des 20. Juni durchschnitt das Schiff nach der Schleusenpassage eine quer
Der Kieler Hafen bei der Kanaleinweihung am 20. Juni 1895 – mehr Gewimmel geht kaum
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über den Kanal gespannte Schnur und gab ihn damit für den Verkehr frei.
In Kiel wurde die Gesellschaft von ei- ner gewaltigen Flotte von Schiffen vie- ler Typen unter den Flaggen zahlreicher Länder erwartet. Auf der Förde hatten sich 53 ausländische Kriegsschiffe ver- sammelt, darunter der US-Kreuzer co- lumbia, das französische Panzerschiff hoche und das italienische Linienschiff ré umberto. Die Kaiserliche Marine war mit 41 Einheiten vertreten und zehn gro- ße Passagierdampfer bildeten die zivile Kulisse. Dazwischen wuselten oder la- gen zahllose Dampf- und Segelyachten, die schon zu der bevorstehenden Kieler Woche aus Nah und Fern angekommen waren. Den weitesten Weg hatte wohl die 17-m-Yacht platessa mit Heimatha- fen Tokio hinter sich. Sie wurde vom ja- panischen Prinzen Kathio geführt.
Absoluter Höhepunkt war am 21. Juni die feierliche Schlusssteinlegung in Holtenau durch Kaiser Wilhelm II., der dem Kanal bei dieser Gelegenheit den Namen „Kai- ser-Wilhelm-Kanal“ gab, zu Ehren seines Großvaters Kaiser Wilhelm I. Das Festes- sen, zu dem der Kaiser am Abend die- ses Tages 1.080 Gäste geladen hatte, fand in einer 140 m langen Halle statt, die in der äußeren Form eines Dreideck- Linienschiffes errichtet war. Die als Krö- nung aufgesetzte Takelage stammte von dem inzwischen außer Dienst gestellten Schulschiff Niobe. Der Großmast war 69 m hoch.
Der Alltag beginnt
Nach all diesen wohl inszenierten, ge- lungenen Festtagen – außer der leidi- gen Finanzierungsfrage sind keine grö-
Foto: WSA Kiel