Page 8 - LL 1-2/2023
P. 8
Maritime Sicherheitspolitik
Der Golf von Guinea ist nach wie vor ein wahrer maritimer Hotspot
seits. Im Kontext der Energiewende wird es zu einer Neukartierung des öst- lichen Mittelmeers kommen: dort vor- kommende Erdgasvorkommen gewin- nen an Relevanz. Die Bedeutung der Region als potenzieller energiewirt- schaftlicher Transit- und Verbindungs- raum wird zunehmen, insbesondere auchfürgrünenWasserstoffausdem Mittleren Osten.
y Im Golf von Guinea haben wir es mit einem Konglomerat maritimer Krisen und einer „toxischen Gemengelage“ zu tun: das Problem der „Seeräube- rei“ und des „bewaffneten Raubüber- falls auf See“ – umgangssprachlich als Piraterie bezeichnet – besteht weiter- hin, auch wenn die Fallzahlen rückläu- fig sind, ebenso Kidnapping gegen Lösegeld (kidnapping for ransom). Die Gründe für die Piraterie liegen auch an Land: Piraterie wird durch staatliche Fra- gilität und das Fehlen von wirtschaftli- chem Wachstum und Betätigungsal- ternativen begünstigt (mehr als 60 % Jugendarbeitslosigkeit!). Zunehmend wird auf den illegalen Handel mit Schmuggel von Öl ausgewichen, was finanziell lukrativer und mit weniger Risiko behaftet ist. Ölfirmen verlieren so „on shore“ gegenwärtig bis zu 30 % des geförderten Öls. Hinzu kommt der illegale Fischfang.
y Am Horn von Afrika bleibt das Piraterie- Problem ebenfalls bestehen, verstärkt kommt Drogenschmuggel hinzu. Die Operation Atalanta leistet hier einen entscheidenden Beitrag zum Schutz ziviler Schiffe des UN World Food-Pro- gramms, zur Bekämpfung der Piraterie und des Drogenschmuggels. Auch in Zukunft wird unser Engagement dort notwendig sein.
y Die Straße von Hormuz bleibt wich- tigstes Nadelöhr des weltweiten
Ölhandels. Etwa ein Drittel aller welt- weiten auf dem Seeweg transportier- ten Öltransporte werden darüber ver- schifft. Die europäische Initiative „Euro- pean Maritime Awareness in The Strait of Hormuz“ (EMASHO) einiger EU-Mit- gliedstaaten, mit ihrem militärischen Anteil Operation AGENOR, trägt hier zur Sicherung der Seewege bei.
Indo-Pazifik inklusive Straße von Malakka, Südchinesisches Meer
Die Region rund um den Indo-Pazifik inklu- sive der Straße von Malakka und des Süd- chinesischen Meers rücken stärker in das Zentrum der geopolitischen Betrachtung: y Mehr als 90 % des weltweiten Außen-
handels werden auf dem Seeweg abge- wickelt, davon ein Großteil über den Indischen und Pazifischen Ozean.
y 80 % der EU-Exporte finden auf dem Seeweg statt. Bis zu 25 % des seewär- tigen Welthandels gehen durch die Straße von Malakka.
yAuftäglichmehrals2000Schiffenwer- den durch dieses Nadelöhr Handels- güter zwischen dem Indischen Ozean und dem Südchinesischen Meer trans- portiert.
Das Südchinesische Meer steht zuneh- mend im Brennpunkt der Großmachtri- valität zwischen China und den USA, was insbesondere Chinas außenpolitischen Ambitionen geschuldet ist. Japan, die USA, Indien, Australien, Frankreich oder auch der Verband Südostasiatischer Staa- ten (ASEAN) reagieren darauf und fokus- sieren ihre Außenpolitik stärker auf den Indo-Pazifik. Neue Allianzen entstehen z.B. zwischen USA-UK-Australien. Deutschland und die EU messen der Indo- Pazifik-Region ebenfalls eine große stra- tegische Bedeutung bei und haben des- halb 2020 sowie 2021 Indo-Pazifik-Leitlinien bzw. ihre Indo-Pazifik-Strategie beschlos- sen. Die EU-Strategie für den Indo-Pazi-
Die Staaten am Horn von Afrika
fik ist die Antwort auf die Herausforderun- gen in dieser Region. Die Strategie zielt darauf ab, einen freien und offenen indo- pazifischen Raum für alle zu erhalten und gleichzeitig starke und dauerhafte Part- nerschaften mit der Region aufzubauen. Sicherheit und Verteidigung sind dabei einer der sieben prioritären Bereiche, in denen die EU sich engagieren will. Dazu gehören auch die Sicherung der Seever- bindungen und eine verstärkte Marineprä- senz im Indo-Pazifik.
Außerdem wird sich die EU um mehr gemeinsame Übungen und Hafen- anläufe mit indopazifischen Partnern bemühen. Dieses schließt multilaterale Übungen ein, die Bekämpfung der Pira- terie und der Schutz der Schifffahrt in der Region. Dazu wird die EU auch den Aufbau von Kapazitäten der Marinen der indopazifischen Partner unterstüt- zen mit dem Ziel, maritime Sicherheit in der Region zu sichern.
Neue Arten der sicherheits- politischen Bedrohungen
Neben der Zunahme der geopolitischen Bedrohungen global und regional beob- achten wir ebenfalls neue Arten sicher- heitspolitischer Bedrohungen, so z.B.:
y Zunahme von hybriden Bedrohungen,
inkl. Desinformation und Angriffe im
Cyberraum.
y Transnationalen Terrorismus und damit
verbunden eine steigende Terrorgefahr. y Zunahme von Drogenschmuggel, ille- galen Ölgeschäften sowie illegaler
Fischerei.
y Ein temporärer Rückgang der Pirate-
rie sowie Kidnapping gegen Lösegeld – ein Trend, der sich jederzeit wieder umkehren kann, sollten sich die wirt- schaftlichen Rahmenbedingungen ändern, z.B. durch sinkende Ölpreise.
Eine Zunahme der Bedrohungen erfordert Fähigkeiten in der Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung. Dieses führt mich zum zweiten Teil meiner Ausführungen:
Teil 2: Reaktion, Mittel, Beitrag der EU
Wie reagiert die EU auf diese Veränderun- gen? Welche Mittel hat die EU zur Bewälti- gung bestehender Krisen und zur Krisen- früherkennung? Welchen Beitrag muss die EU leisten, um als glaubwürdiger Garant für maritime Sicherheit wahrgenommen zu werden?
8 Leinen los! 1-2/2023