Page 7 - Grete Minde
P. 7
und Türken sind's. Sahst du die Frau? Und wie der lange schwarze Schleier ihr vom Kopfe
hing?«
»Ich gehe doch«, lachte Emrentz.
Damit trennten sich die Frauen, und Trud, unzufrieden über das Gespräch und das
Scheitern ihrer Pläne, kehrte noch übellauniger, als sie gekommen, in das Mindesche
Haus zurück.
Drittes Kapitel
Das »Jüngste Gericht« und was weiter geschah
In jener Stille, wie sie dem Mindeschen Hauswesen eigen war, verging der Tag; nur der
Pfauhahn kreischte von seiner Stange, und aus dem Stallgebäude her hörte man das
Stampfen eines Pferdes, eines schönen flandrischen Tieres, das der alte Minde, bei
Gelegenheit seiner zweiten Heirat, aus den Niederlanden mit heimgebracht hatte. Das war
nun fünfzehn Jahr; es war alt geworden wie sein Herr, aber hatte bessere Tage als dieser.
Grete hatte gebeten, das Puppenspiel im Rathaus besuchen zu dürfen, und es war ihr,
allem Abmahnen Truds unerachtet, von ihrem Vater, dem alten Minde, gestattet worden,
nachdem dieser in Erfahrung gebracht hatte, daß auch Emrentz und Valtin und der alte
Zernitz selbst dem Spiele beiwohnen würden. Lange vor sieben Uhr hatte man Greten
abgeholt, und in breiter Reihe, als ob sie zusammengehörten, schritten jetzt alle
gemeinschaftlich auf das Rathaus zu. Die Freitreppe, die hinaufführte, war mit Neugierigen
besetzt, auch mit solchen, die drinnen ihre Plätze hatten und nur wieder ins Freie getreten
waren, um so lange wie möglich noch der frischen Luft zu genießen. Denn in dem niedrig
gewölbten Saale war es stickig, und kein anderes Licht fiel ein als ein gedämpftes von Flur
und Treppe her. In der zweiten Reihe waren ihnen, unter Beistand eines alten Stadt- und
Ratsdieners, einige Mittelplätze freigehalten worden, auf denen sie bequemlich Platz
nahmen, erst Zernitz selbst und Emrentz, dann Valtin und Grete. Das war auch die
Reihenfolge, in der sie saßen. Grete war von Anfang an nur Aug und Ohr, und als Emrentz
ihr aus einem Sandelkästchen allerhand Süßigkeiten anbot, wie sie damals Sitte waren,
überzuckerte Frucht und kleine Theriakkügelchen, dankte sie und weigerte sich, etwas zu
nehmen. Valtin sah es und flüsterte ihr zu: »Fürchtest du dich?«
»Ja, Valtin. Bedenke, das Jüngste Gericht.«
»Wie kannst du nur? Es sind ja Puppen.«
»Aber sie bedeuten was, und ich weiß doch nicht, ob es recht ist.«
»Das hat dir Trud ins Gewissen geredt«, lachte Emrentz, und Grete nickte.
»Glaub ihr nicht; es ist 'ne fromme Sach. Und in Stendal haben sie's in der Kirchen
gespielt.« Und dabei nahm Emrentz eine von den kandierten Früchten und drückte den
Stengel in ihres Alten große Sommersprossenhand. Der aber nickte ihr zärtlich zu, denn er
nahm es für Liebe.
Während dieses Gesprächs hatte sich der Saal auf allen Plätzen gefüllt. Viele standen bis
nach dem Ausgang zu, vor den Zernitzens aber saß der alte Peter Guntz, der schon zum
vierten Male Burgemeister war und den sie um seiner Klugheit und Treue willen immer
wieder wählten, trotzdem er schon an die achtzig zählte. »Das ist ja Grete Minde«, sagte
er, als er des Kindes ansichtig wurde. »Sei brav, Gret.« Und dabei sah er sie mit seinen
kleinen und tiefliegenden Augen freundlich an.