Page 9 - Grete Minde
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einen Schmalseite des Tisches, während Trud und Gerdt, seine Schwieger und sein Sohn,
            an den Längsseiten einander gegenübersaßen. Trud steif und aufrecht, Gerdt bequem und
            nachlässig in Kleidung und Haltung. In allem der Gegenpart seines Weibes; auch seines
            Vaters, der trotz eines Zehrfiebers, an dem er litt, aus einem starken Gefühle dessen, was
            sich für ihn zieme, die Schwäche seines Körpers und seiner Jahre bezwang.
            Es schien, daß Trud ihre schon vormittags gegen Emrentz gemachten Bemerkungen über
            das Puppenspiel eben wiederholt hatte, denn Jacob Minde, während er einzelne von den
            großen Himbeeren nahm, die, wie er es liebte, mit den Stielchen abgepflückt worden
            waren, sagte: »Du bist zu streng, Trud, und du bist es, weil du nur unser tangermündisch
            Tun und Lassen kennst. Und in Alt-Gardelegen ist es nicht anders. Aber draußen in der
            Welt, in den großen Ländern und Städten, da wagt sich die Kunst an alles Höchste und
            Heiligste, und sie haben fromme und berühmte Meister, die nie andres gedacht und
            gedichtet   und   gemalt   und   gemeißelt   haben   als   die   Glorie   des   Himmels   und   die
            Schrecknisse der Hölle.«

            »Ich   weiß   davon,   Vater«,   sagte   Trud   ablehnend.   »Ich   habe   solche   Bilder   in   unsrer
            Gardelegner Kirche gesehn, aber ein Bild ist etwas andres als eine Puppe.«

            »Bild oder Puppe«, lächelte der Alte. »Sie wollen dasselbe, und das macht sie gleich.«

            »Und doch, Vater, mein ich, ist ein Unterschied, ob ein frommer und berühmter Meister,
            wie du sagst, eine Schilderei malt zur Ehre Gottes oder ob ein unchristlicher Mann, mit
            einem Türkenweib und einem Pickelhering, Gewinnes halber über Land zieht und mit
            seinem Spiel die Schenken füllt und die Kirchen leert.«
            »Ah,   kommt   es   daher?«   lachte   Gerdt   und   streckte   sich   noch   bequemer   in   seinem
            Stuhl. »Daher also. Warst heut in der Pfarr, und da haben wir nun den Pfarrwind. Ja, das
            ist Gigas; er bangt um sich und seine Kanzel. Und nun gar das Jüngste Gericht! Das ist ja
            sein eigener Acker, den er am besten selber pflügt. So wenigstens glaubt er. Weiß es Gott,
            ich hab ihn nie sprechen hören, auch nicht bei Hochzeit und Kindelbier, ohne daß ein
            höllisch Feuer aus irgendeinem Ritz oder Ritzchen aufgeschlagen wär. Und nun kommt
            dieser Puppenspieler und tut's ihm zuvor und brennt uns ein wirklich Feuerwerk...«
            Er konnte seinen Satz nicht enden, denn in eben diesem Augenblicke hörten sie, vom
            Marktplatze her, einen dumpfen Knall, der so heftig war, daß alles Gerät im Zimmer in ein
            Klirren   und   Zittern   kam;   und   eh   sie   noch   einander   fragen   konnten,   was   es   sei,
            wiederholten sich die Schläge, dreimal, viermal, aber schwächer. Trud erhob sich, um auf
            die Straße zu sehn, und ein dicker Qualm, der sich in Höhe der gegenüberliegenden
            Häuser hinzog, ließ keinen Zweifel, daß bei den Puppenspielern ein Unglück geschehen
            sein müsse. Flüchtig Vorübereilende bestätigten es, und Trud, indem sie sich ins Zimmer
            zurückwandte, sagte triumphierend: »Ich wußt es: Gott läßt sich nicht spotten.« Auf Gerdts
            blassem und gedunsenem Gesicht aber wechselten Furcht und Verlegenheit, wodurch es
            nicht gewann, während der alte Minde sein Käppsel abnahm und mit halblauter Stimme
            die Barmherzigkeit Gottes und den Beistand aller Heiligen anrief. Denn er war noch aus
            den katholischen Zeiten her. In einem Anfluge von Teilnahme war Trud, die sonst gern ihre
            herbe   Seite   herauskehrte,   an   den  Alten   herangetreten   und   hatte   ihre   Hand   auf   die
            Rückenlehne seines Stuhls gelegt, als sie aber den Namen Gretens zum dritten Mal aus
            seinem Munde hörte, wandte sie sich wieder ab und schritt unruhig und übellaunig im
            Zimmer   auf   und   nieder.   Man   sah,   daß   sie   fremd   in   diesem   Hause   war   und   keine
            Gemeinschaft mit den Mindes hatte.
            Sie war eben wieder ans Fenster getreten und sah nach dem Marktplatze hin, als sie
            plötzlich, inmitten einer Gruppe, Greten selbst erkannte, die, mit einem Stück Zeug unter
            dem Kopf, auf einer Bahre herangetragen wurde. War sie tot? Es war oft ihr Wunsch
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