Page 13 - Grete Minde
P. 13

einen Stuhl zu und fuhr in seiner Rede fort: »Das ist also Grete, von der Ihr mir erzählt
            habt, Eure Schwieger und Euer Kind. Denn Ihr tragt es auf dem Herzen, und sein Wohl
            und Weh ist auch das Eure. Und das schätz ich an Euch, Frau Minde. Denn der Teufel mit
            seinen Listen geht immer um, am meisten aber bei der Jugend, und von ihr gilt es doppelt:
            ›Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet.‹ Betest du, Grete?«
            »Ja, Herr.«

            »Oft?«

            »Jeden Abend.«
            Er sah, daß Grete zitterte und immer auf Trud blickte, aber nicht um Rat und Trostes
            willen, sondern aus Scham und Scheu. Und Gigas, der nicht nur das menschliche Herz
            kannte, sondern sich aus erbitterten Glaubenskämpfen her auch einen Schatz echter
            Liebe gerettet hatte, wandte sich jetzt an Trud und sagte: »Ich spräche gern allein mit dem
            Kind. So's Euch gefällt, Frau Minde, wartet auf mich in Hof oder Garten. Ihr wißt den
            Weg.«
            Und damit erhob sich Trud und verließ das Zimmer. Grete folgte mit dem Ohr und wurd
            erst ruhiger, als sie die schwere Hoftür in den Rollen gehn und wieder zuschlagen hörte.
            Auch Gigas hatte gewartet. Nun aber fuhr er fort: »Also jeden Abend betest du, Grete. Das
            hör ich gern. Aber was betest du?«

            »Ich bete die sieben Bitten.«
            »Das ist gut. Aber was betest du noch!«
            »Ich bet auch einen Spruch, den mich unsre alte Regine gelehrt hat.«

            »Das ist die Magd, die dich großgezogen, eh deine Schwieger ins Haus kam?«
            »Ja, Herr.«

            »Und wie lautet der Spruch? Ich möcht ihn wohl hören. Denn sieh, Grete, das mußt du
            wissen, ein für allemal, so wie wir beten, so sind wir. Es ist schon ein Zeichen, wie der
            Mensch zum Menschen spricht, aber wie der Mensch zu Gott spricht, das entscheidet
            über ihn. Da liegt es, gut oder böse. Willst du mir den Spruch sagen? Du mußt dich nicht
            fürchten   vor   mir.   Sammle   dich   und   besinne   dich.   Sieh,   ich   will   dir  auch   eine   Rose
            schenken. Da. Und wie gut sie dir kleidet. Du gleichest deiner Mutter, aber nicht in allem,
            denk ich. Denn du weißt doch, daß sie sich zu dem alten Glauben hielt. Und sie mied
            mich, wenn ich in euer Haus kam. Aber ich habe für sie gebetet. Und nun sage mir deinen
            Spruch.«
            »Ich glaube, Herr, es ist ein Lied.«

            »Auch das ist gut. Spruch oder Lied. Aber beginne.«
            Und nun faltete Grete die Hände und sagte, während sie zu dem Alten aufsah:

             »Himmelwärts
             Richte, Gott, mein sündig Herz,
             Laß der Kranken und der Armen
             Mich in ihrer Not erbarmen;
             Was ich irdisch gebe hin,
             Ist mir himmlischer Gewinn.«
            Gigas lächelte. Die Lieblichkeit des Kindes ließ das Feuer, das sonst wohl auf seiner
            Stirne hoch aufgeschlagen hätte, nicht übermächtig werden, und er sagte nur: »Nein,
            Grete, das macht es nicht; darin erkenn ich noch die Torheit von den guten Werken.
            Lernen wir lieber einen andern Spruch. Denn sieh, unsre guten Werke sind nichts und
   8   9   10   11   12   13   14   15   16   17   18