Page 62 - Der Darwinismus als soziale Waffe
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Die Behauptung, dass Krieg ein Regulativ sei, ist weder rational nachvollziehbar, noch hält sie wis-
                  senschaftlichen Tatsachen stand. Der Krieg ist eine zerstörerische Kraft, die ungeheure Verluste an Menschenleben
                  und Werten verursacht, die oft nicht wiedergutzumachen sind.
                       Nichtsdestotrotz riefen jene, die ständige Kriege als unverzichtbar für die Weiterentwicklung von Zivilisation
                  hielten, unverdrossen nach Krieg. General Bernhardi zum Beispiel schrieb in seinem Buch:

                       “Der Krieg ist nicht nur integraler Bestandteil des Lebens, sondern auch ein unverzichtbares Kulturelement. Im
                       Krieg manifestiert eine wahrhaft zivilisierte Nation ihre Stärke und Lebenskraft. ... Der Krieg verhilft zu einer biolo-
                       gisch gerechten Entscheidung, weil seine Ergebnisse den Naturgesetzen entsprechen. ... Er ist nicht nur eine biolo-
                       gische Notwendigkeit, sondern zugleich eine moralische Verpflichtung und als solche ein unverzichtbarer
                       Kulturfaktor.“ 74

                       Es ist eine der größten geistigen Verirrungen der Verkünder solcher Thesen, dass sie allen Ernstes glaubten,
                  Krieg sei vereinbar mit der menschlichen Natur und eben deshalb unvermeidlich. Aus ihrer Sicht hieß das: Je mehr
                  Kriege geführt werden, desto mehr Macht und Lebenskraft kann man erwerben. Doch Gott hat die Menschen so er-
                  schaffen, dass sie am besten im Frieden leben können. Chaos und Streit hingegen versetzen die menschliche Seele in
                  unerträgliche Spannung. Nur in einem Klima von Frieden und Sicherheit kann es schnellen sozialen,
                  wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt geben. Dazu schreibt Gertrude Himmelfarb in ihrem Buch Darwin and

                  the Darwinian Revolution:
                       “Für General [Bernhardi] ging es in erster Linie um die Erfordernisse des Krieges, aus denen imperialistische
                       Abenteuer und nationalistische Experimente folgten. Für andere war es umgekehrt: Ihre imperialistischen und na-

                       tionalistischen Ziele zogen Krieg und Militarismus erst nach sich. Es gab aber auch Stimmen, die nach kriegerischen
                       Tugenden riefen, aber ohne die Bürde von Militarismus oder Nationalismus. Das war Sozialdarwinismus in seiner
                       reinsten Form.“ 75

                       Sir Arthur Keith, evolutionistischer Anthropologe und Darwin-Biograph, gab offen zu, ein Kriegsbefürworter
                  zu sein. Obwohl er persönlich friedliebend war, fürchtete er die Folgen eines Friedenszustandes. Er glaubte
                  nämlich, dass sich die Welt nach 500 Jahren Friedenszustand “in einen Obstgarten verwandelt, in dem
                  lange Zeit nichts mehr gedeihen wird, weil es zu viele Blüten gibt.“      76


























































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