Page 60 - Wie Fossilien die Evolution widerlegen
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Harvard-Paläontologe Stephen Jay Gould und Niles Eldredge vom
Amerikanischen Museum für Naturgeschichte eine alternative Theo-
rie entwickelt, die als „unterbrochenes Gleichgewicht”, im Deutschen
jedoch besser als „sprunghafte Entwicklung” bezeichnet wird. Ihr
Ziel war die Erklärung des Phänomens der Stasis.
Tatsächlich war die Theorie eine Neuauflage der Theorie des
„hoffnungsvollen Monsters”, die 1930 von dem deutschen Paläontolo-
gen Otto Schindewolf vorgeschlagen worden war. Danach entwickel-
ten sich die Lebewesen durch plötzliche, dramatische Mutationen
anstelle einer graduellen Akkumulation kleinerer Mutationen. In
einem hypothetischen Beispiel für seine Theorie legt Schindewolf
nahe, der erste Vogel der Geschichte sei aufgrund einer krassen Muta-
tion aus einem Reptilienei gekrochen. Es sollte also eine große zufäl-
lige Veränderung in seiner genetischen Struktur stattgefunden
haben. 21 Dieser Theorie zufolge verwandelten sich manche terrestri-
schen Säugetiere durch eine plötzliche, umfassende Veränderung in
Wale.
Diese Behauptungen widersprechen allen bekannten Gesetzen
der Genetik, Biophysik und Biochemie und waren nicht wissenschaft-
licher als das Märchen vom Frosch, der sich in einen schönen Prinzen
verwandelt. Doch die „Theorie des hoffnungsvollen Monsters” wurde
aufgegriffen und noch 1940 von Richard Goldschmidt, einem Geneti-
ker an der Universität von Kalifornien in Berkeley, verteidigt. Doch
sie war so inkonsistent, dass sie dann fallengelassen wurde.
Der Grund für die Neuauflage der Theorie durch Gould und
Eldredge war wieder das Fehlen von Übergangsformen im Fossilien-
bestand. Stillstand und plötzliches Auftauchen von Arten waren so
offensichtlich, dass die beiden gezwungen waren, die Theorie des
hoffnungsvollen Monsters wieder auszugraben, um die Situation
erklären zu können. Goulds bekannter Artikel „Die Rückkehr des
hoffnungsvollen Monsters” war Ausdruck dieses Zwangs. 22
Natürlich wiederholten Eldredge und Gould Schindewolfs Theo-
rie nicht Wort für Wort. Um ihr einen „wissenschaftlicheren”
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