Page 376 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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vermengt. Nachdem aber nun sämmtliche Seelen ihre Lebensweisen
gewählt hätten, seien sie in der nämlichen Reihenfolge, in welcher sie
das Loos getroffen, zur Lachesis hingetreten; diese aber habe einem
Jeden den Dämon, welchen er gewählt hatte, als Wächter des Lebens und
als Vollstrecker des Gewählten mitgegeben; und dieser habe die Seele
zuerst zur Klotho unter die Hand derselben und unter die Drehung des
Wirbels der Spindel hineingeführt, um dem Schicksale Gültigkeit zu
verleihen, welches Jeder nach dem Loose sich gewählt hatte; nachdem er
aber diese berührt hatte, habe er sie hinwiederum zum Rocken der
Atropos geführt, um das Zugesponnene unabwendbar zu machen. Von da
hinweg dann sei er, ohne sich umzuwenden, unter den Thron der
Nothwendigkeit hingegangen, und nachdem er unter demselben
durchgegangen und hernach auch alle Uebrigen das Gleiche gethan
hatten, seien sie sämmtlich in die Ebene der Lethe gewandert durch
fürchterliche Glut und Stickhitze hindurch; es sei nemlich dieselbe leer
von Bäumen und überhaupt Allem, was der Erde entsproßt.
Niedergelassen nun hätten sie sich, als es bereits Abend geworden, am
Flusse AmelesWörtlich der »Sorgenlose«, sowie Lethe die
»Vergessenheit«., dessen Wasser kein Gefäß gedeckt zu halten vermöge;
und ein gewisses Maß nun von diesem Wasser zu trinken, sei für
Sämmtliche eine Nothwendigkeit, wer aber durch Verständigkeit sich
nicht bewahre, trinke mehr als jenes Maß, ein Jeder aber stets, welcher
trinke, vergesse Alles. Nachdem sie aber sich zur Ruhe begeben hatten,
und es Mitternacht geworden war, sei Donner und Erdbeben entstanden,
und sofort seien plötzlich der Eine dahin, der Andere dorthin nach Oben
zur neuen Geburt fortgetragen worden, blitzend wie Sternschnuppen. Er
selbst aber sei gehindert worden, von jenem Wasser zu trinken. Wie aber
und auf welche Weise er in seinen Körper gekommen sei, wisse er nicht,
sondern plötzlich habe er die Augen geöffnet und des Morgens gesehen,
wie er bereits auf dem Scheiterhaufen liege.
Diese Kunde denn nun, o Glaukon, ist bewahrt worden und ging
nicht verloren, und sie möchte wohl auch uns bewahren, wenn wir ihr
Folge leisten, und dann werden wir den Fluß der Lethe glücklich
durchschreiten und unsere Seele nicht beflecken; sondern wenn wir dem
von mir Gesagten folgen und daran festhalten, daß die Seele unsterblich
und befähigt sei, alles Schlimme und alles Gute über sich ergehen zu
lassen, so werden wir immer dem nach Oben führenden Wege folgen und
in Gerechtigkeit, verbunden mit Verständigkeit, auf jede Weise uns
bethätigen, damit wir sowohl uns selbst, als auch den Göttern befreundet
seien, mögen wir hier auf Erden verweilen, oder nach Empfang des
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