Page 373 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Schluß zu ziehen und im Hinblicke auf die natürliche Begabung der
                Seele die Wahl zu treffen befähigt sei zwischen schlechterem und
                besserem Leben, indem er als schlechteres dasjenige bezeichnet, welches

                ihn dorthin führen wird, ungerechter zu werden, als besseres aber jenes,
                welches dazu führt, gerechter zu werden, alles Uebrige aber hiebei bei
                Seite zu lassen. Denn wir haben gesehen, daß für den Menschen bei
                Lebzeiten und nach seinem Tode dieß die beste Wahl ist. Felsenfest
                demnach muß man diese Ansicht haben und so auch in den Hades
                kommen, damit man auch dort sich nicht blenden lasse durch Reichthum
                und derartige Uebel und nicht, auf Gewaltherrschaften und andere

                derartige Handlungen verfallend, vieles und unheilbares Uebel stifte und
                selbst noch viel größeres erdulde, sondern daß man die Einsicht habe,
                immer die mittlere Lebensweise unter den derartigen zu wählen und das
                Übermaß nach beiden Seiten zu meiden, sowohl in diesem Leben nach
                Kräften, als auch in dem gesammten künftigen; denn auf diese Weise
                wird der Mensch der glücklichste werden.

                     16. Und so habe denn nun auch damals, berichtete jener Verkündiger,
                der dortige Götter-Herold folgende Worte gesprochen: »Auch für jenen,
                welcher zuletzt herbeikömmt, liegt, wenn er mit Verstand wählt und in
                gespannter Thätigkeit sein Leben führt, eine annehmbare, und nicht eine
                schlechte Lebensweise bereit. Weder jener, welcher als der Erste im
                Wählen den Anfang macht, sei sorglos, noch auch jener, welcher den
                Schluß macht, trostlos.« Nachdem aber Jener dieß gesprochen, habe der

                Erste, welchen das Loos traf, sogleich, als er hintrat, die höchste
                Gewaltherrschaft sich gewählt und so aus Unverstand und Gier nicht
                Alles genugsam erwägend, die Wahl getroffen, sondern es sei ihm
                entgangen, daß als Fügung des Schicksales das Aufzehren seiner eigenen
                Kinder und noch anderes Unheil darin enthalten war. Nachdem er aber in
                Muße es hernach erwog, habe er sich die Brust zerschlagen und die Wahl

                bejammert, den Worten nicht getreu bleibend, welche der Herold vorher
                verkündet hatte; nemlich er maß sich nicht selbst die Schuld dieser Uebel
                bei, sondern dem Zufalle und den dämonischen Wesen und überhaupt
                allem Anderen eher, nur sich selbst nicht. Es sei aber dieß einer von
                denjenigen gewesen, welche aus dem Himmel kamen, nachdem er sein
                früheres Leben in einem wohlgeordneten Staate zugebracht hatte, bloß
                durch Gewöhnung ohne Weisheitsliebe an der Vortrefflichkeit Theil

                nehmend; und es seien, so zu sagen, die aus dem Himmel Kommenden
                überhaupt nicht die geringere Anzahl derer, welche auf Solchem sich
                ertappen ließen, weil sie nemlich in Anstrengungen nicht geübt sind;
                wohingegen die meisten der von der Erde her Kommenden, da sie





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