Page 368 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Dinge bei jenen. Und sie hätten es sich gegenseitig erzählt, die einen
unter Wehklagen und Thränen, indem sie sich erinnerten, Welcherlei und
wie Vieles sie bei ihrer Wanderung unter der Erde, – es sei aber diese
Wanderung eine tausendjährige –, gesehen und geduldet hätten, jene aber
hinwiederum, welche aus dem Himmel kamen, hätten von wohlthuenden
Zuständen und unaussprechlich herrlichen Anblicken erzählt. Der größte
Theil nun hievon, o Glaukon, würde zu lange Zeit erfordern, um es zu
erzählen; die Hauptursache aber davon, berichtete er, habe darin
bestanden, daß für Alles, was jeder Einzelne jemals Unrecht übte und
gegen wie viele er es übte, jeder der Reihe nach Buße gethan, und zwar
zehnmal für jedes Einzelne: dieß aber trete je in einem Zeitraume von
hundert Jahren wieder ein, weil dieß die Dauer eines menschlichen
Lebens ist, damit nemlich die Buße, in welcher sie büßen, eben eine
zehnfache seiNemlich während der tausendjährigen Wanderung büßen
sie auf diese Weise zehnmal, da alle hundert Jahre dieser Vollzug der
Strafe wiederholt wird., und damit z. B. wenn Einige an vielen
Mordthaten die Schuld tragen oder Staaten oder Heerlager verrieten und
in Sklaverei brachten, oder an irgend anderen schlechten Thaten
Mitschuldige waren, sie für jedes Einzelne von all diesem zehnfache
Schmerzen davontragen, und hinwiederum auch, wenn Einige treffliche
Thaten geübt haben und gerecht und frevellos gewesen waren, sie in der
nemlichen Weise den verdienten Lohn davontragen. Betreffs derjenigen
aber, welche eben erst neu geboren waren und nur kurze Zeit gelebt
hatten, erzählte er noch Anderes, was der Erwähnung nicht werth istMan
beachte hiebei, daß Plato wenigstens auf die Frage hingeführt wird, wie
es denn mit den Seelen der als Kinder Verstorbenen im Jenseits stehe,
wenn er auch die Frage kurz abschneidet oder vielmehr eigentlich
abweist, da er wahrscheinlich wohl eine so geringe Lebensdauer für zu
ungenügend hielt, um an sie bestimmte Vorgänge nach dem Tode
anzuknüpfen, und vielleicht der Ansicht war, daß diese Kleinkinder-
Seelen sehr bald in eine neue anderweitige Verkörperung eingingen. Was
übrigens das Motiv der Rache und des Lohnes betrifft, welches bei dieser
ganzen Schilderung durchblickt, so vgl. obige Anm. 95.. Aber für Frevel
und für Ehrerbietung gegen die Götter und die Eltern und für
eigenhändig geübten Mord erzählte er noch größere Wiedervergeltungen.
Er sagte nemlich, er sei auch zugegen gewesen, wie Einer einen Anderen
fragte, wo wohl der große Ardiäos sei; es war aber dieser Ardiäos in
irgend einer Stadt Pamphyliens Gewaltherrscher gewesen, gerade im
tausendsten Jahre von jener Zeit, und hatte seinen greisen Vater und
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