Page 363 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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irgend Eines von den unsterblichen Dingen ein Mehreres würde, so
                weißt du doch wohl, daß es ja nur aus dem Sterblichen es werden könnte,
                und hiemit zuletzt Alles unsterblich wäreVgl. hierüber ebend. Cap. 14–

                17.. – Du sprichst wahr. – Aber, sagte ich, weder diese Meinung wollen
                wir hegen, denn unsere Begründung läßt dieß nicht zu, noch auch
                hinwiederum, daß ihrer wahrsten Natur nach die Seele derartig sei, daß
                sie selbst an und für sich von vieler Buntheit und Ungleichheit und
                Verschiedenheit strotze. – Wie meinst du dieß? sagte er. – Nicht leicht,
                sprach ich, kann es sein, daß Etwas ein Immerwährendes sei, was aus
                Vielem zusammengesetzt ist und dabei nicht der schönsten Weise der

                Zusammensetzung sich erfreut, wie sich uns dieß jetzt betreffs der Seele
                zeigte. – Allerdings scheint es so nicht. – Daß demnach die Seele
                unsterblich sei, ergibt sich mit Nothwendigkeit sowohl aus der so eben
                gegebenen Begründung, als auch aus den übrigen; von welcher
                Beschaffenheit aber sie in Wahrheit sei, hiezu dürfen wir sie nicht mit
                jenen Makeln, welche ihr in Folge der Gemeinschaft mit dem Körper

                und in Folge anderer Uebel anheben, betrachten, wie wir jetzt thun,
                sondern in jener Beschaffenheit, in welcher sie rein entsteht, genügend
                vermittelst der Vernunft durchschauen; und weit herrlicher ja wird unsere
                Vernunft sie dann finden und weit deutlicher die Gerechtigkeiten und
                Ungerechtigkeiten und all dasjenige erblicken, was wir bisher
                durchgegangen haben. Jetzt aber sprechen wir die Wahrheit über sie
                ebenso aus, wie sie sich für den gegenwärtigen Augenblick uns zeigt.

                Wir haben sie aber hiebei ja in einem Zustande geschaut, wie etwa auch
                diejenigen, welche den Meergott GlaukosS. m. Anm. 53 z. »Phädon«.
                sehen, wohl nicht leicht die ursprüngliche Beschaffenheit desselben
                erblicken würden, da ja die älteren Theile seines Körpers theils
                ausgebrochen, theils zermalmt und überhaupt durch die Wellen voll von
                Makeln geworden sind, hiefür aber Anderes an ihn hingewachsen ist,

                nemlich Muscheln und Seegras und Steine, so daß er jedem Thiere eher
                ähnlich ist, als seiner ursprünglich natürlichen Beschaffenheit; in einem
                eben solchen Zustande befindet sich in Folge unzähliger Uebel auch die
                Seele, wie wir sie nemlich betrachten; aber wir müssen, o Glaukon, eben
                nothwendig auch dorthin blicken. – Wohin? sagte er. – Auf die
                Weisheitsliebe der Seele; und wir müssen erkennen, was sie ergreife und
                mit welchen Dingen sie in Umgang zu stehen wünsche, da sie verwandt

                ist mit dem Göttlichen und Unsterblichen und immerwährend Seienden,
                und welche Beschaffenheit sie wohl erlange, wenn sie in ihrer
                Gesammtheit dem Derartigen nachfolgt und durch dieses Bestreben aus
                dem Meerwasser, in welchem sie sich jetzt befindet, sich erhebt und die





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