Page 362 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 362
nicht entsteht, wollen wir weder von einer Seite, noch von irgend einem
anderen Dinge die Behauptung gelten lassen, daß ein Zugrundegehen
stattfinde. – Aber dieß ja, sagte er, wird wohl niemals Jemand beweisen,
daß die Seelen der Sterbenden eben durch den Tod ungerechter werden.
– Falls aber Jemand, sagte ich, wirklich auf diese Begründung
einzugehen und es auszusprechen wagen sollte, es werde der Sterbende
ein Schlechterer und ein Ungerechterer, um nemlich nur nicht zu dem
Geständnisse, daß die Seelen unsterblich seien, gezwungen zu werden,
so müssen wir doch wohl die Zumuthung machen, daß, wenn der
Vertreter dieser Behauptung Recht habe, die Ungerechtigkeit für den sie
Besitzenden gerade so wie eine Krankheit tödtlich sei, und daß eben
durch eine solche den Tod herbeiführende Ursache die mit ihr Behafteten
vermöge ihrer eigenen Natur sterben, nemlich schneller die am meisten
und langsamer die weniger mit ihr Behafteten. nicht aber daß, wie es
jetzt der Fall ist, durch eine solche Ursache erst von Seite Anderer,
welche ihnen die Strafe auferlegten, die Ungerechten den Tod erleiden. –
Als nichts sehr Arges also, bei Gott, sagte er, würde sich dann die
Ungerechtigkeit zeigen, woferne sie dem mit ihr Behafteten tödtlich ist;
denn eine Befreiung ja von allen Uebeln wäre sie dannDas nemliche
Motiv s. im »Phädon«, Cap. 57.; sondern vielmehr glaube ich, daß sie
gerade als das Gegentheil hievon sich zeigen werde, da sie den Tod
Anderer herbeiführt, sobald dieß möglich ist, denjenigen aber, der mit ihr
behaftet ist, gar sehr mit einem zähen Leben ausrüstet, und noch außer
dem zähen Leben ihm Schlaflosigkeit verleiht; in so großer Entfernung
davon, daß sie tödtlich wäre, hat sie, wie es scheint, ihr Zelt
aufgeschlagen, – Du sprichst richtig, sagte ich; denn wann die eigene
Verdorbenheit und das eigene Schlechte nicht genügende Kraft hat, um
eine Seele zu tödten und zu Grunde zu richten, so möchte wohl
schwerlich ein Schlechtes, welches auf das Verderben eines Anderen
hingewiesen ist, die Seele oder irgend etwas Anderes zu Grunde richten,
außer eben jenes, auf welches es hingewiesen ist. – Ja wohl, schwerlich,
sagte er, wie es wenigstens scheint. – Nicht wahr also, da sie nicht durch
ein einziges Schlechtes, weder durch eigenes, noch durch fremdes, zu
Grunde geht, so ist klar, daß sie nothwendig ein immerwährend Seiendes
sein muß; wenn aber ein immerwährend Seiendes, so auch ein
Unsterbliches. – Ja, nothwendig, sagte er, muß sie dieß sein. –
11. Dieß demnach, sagte ich, möge so sich verhalten; wenn es sich
aber so verhält, so bemerkst du wohl, daß hiemit die Seelen immer die
nemlichen sein müssen; denn weder wenigere können sie werden, da
keine zu Grunde geht, noch auch hinwiederum mehrere; nemlich wenn
361