Page 358 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Muse in lyrischen Liedern oder epischen Gesängen aufnehmen wirst,
                werden dir in dem Staate das Vergnügen und der Schmerz die Könige
                sein, nicht aber das Gesetz und die gemeinsam stets für das Beste

                geltende Vernunft. – Sehr wahr, sagte er. –
                     8. Dieß demnach, sagte ich, möge uns hiemit zur Vertheidigung bei
                Erwähnung der Dichtkunst darüber gesprochen sein, daß wir wohl aus
                guten Gründen sie damalsIm 1. Cap. dieses Buches und oben B. III, Cap.
                9. aus dem Staate fortschickten, weil sie eine so beschaffene ist. Unsere
                Begründung nemlich fügte es so. Wir wollen aber noch hinzufügen,
                damit sie uns nemlich nicht einer gewissen Harte und Ungebildetheit

                beschuldige, daß die Entzweiung zwischen Weisheitsliebe und
                Dichtkunst schon eine alte ist; denn Aussprüche, wie »der gegen den
                eigenen Herrn klaffende und keifende Hund«, oder»groß in dem leeren
                Geschwätze der Unverständigen«, oder »die herrschende Schaar der in
                Bezug auf Zeus so Weisen«, oder »die Feinspinner im Denken, weil sie
                eben die Noth treibt«All dieses sind einzelne Dichterstellen, welche uns

                allerdings nicht näher bekannt, aber offenbar aus Komödien entnommen
                sind, in welchen die Philosophen wohl in ähnlicher Weise, wie in den
                »Wolken« des Aristophanes, verspottet worden waren (s. obige Anm.
                178). und unzähliges Anderes dergleichen sind Anzeichen eines alten
                Gegensatzes zwischen jenen beiden. Dennoch aber möge hiemit gesagt
                sein, daß wir wenigstens, sobald die dem Vergnügen dienende
                Dichtkunst und Nachahmung irgend einen Grund dafür anführen kann,

                daß sie in einem wohlgesetzlichen Staate nothwendig sei, sie bereitwillig
                aufnehmen würden, da wir uns gewiß dessen bewußt sind, daß auch wir
                selbst von ihr bezaubert werden; hingegen was uns hierüber als das
                Wahre erscheint, preiszugeben, wäre ein Frevel. Oder wie, mein Freund?
                wirst nicht auch du von ihr bezaubert, und zwar zumeist, wenn du sie
                vermittelst des Homeros betrachtest? – Ja, bei Weitem. – Nicht wahr

                also, auf diese Bedingung hin mag ihr mit Recht die Rückkehr gestattet
                werden, daß sie nemlich sich vertheidige, sei es in lyrischem, oder in
                einem anderen Versmaße? – Ja wohl, allerdings. – Wir möchten aber
                wohl auch ihren Beschützern, welche zwar nicht selbst Dichter, aber
                Freunde der Dichtkunst sind, verstatten, in ungebundener Rede zu ihren
                Gunsten anzuführen, daß sie nicht bloß etwas Vergnügliches sei, sondern
                auch wirklich Nutzen bringe für den Staat und für das menschliche

                Leben; und wir werden wohlwollend Solches anhören, denn wir können
                doch wohl nur dabei gewinnen, wenn es sich zeigen würde, daß sie nicht
                bloß vergnüglich, sondern auch wirklich nützlich sei. – Wie sollten wir
                auch, sagte er, hiebei nicht gewinnen? – Wenn aber jenes sich nicht zeigt,





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