Page 355 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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den Klagegesang verscheucht. – Am richtigsten wenigstens, sagte er,
                würde man so gegen die Wechselfälle des Glückes sich benehmen. –
                Nicht wahr also, das Beste, behaupten wir, will diesem Vernünftigen

                folgen. – Ja, dieß ist klar. – Hingegen dasjenige, was zur Rückerinnerung
                an den Unfall und zu Wehklagen führt und hierin unersättlich ist, werden
                wir von diesem etwa nicht behaupten, daß es unvernünftig sei und
                thatenlos und mit der Feigheit befreundet? – Dieß werden wir allerdings
                behaupten. – Nicht wahr also, das Eine enthält eine vielfache und bunte
                Nachahmung, nemlich das den Unwillen Erregende; hingegen der
                verständige und ruhige Charakter wird, weil er stets sich selbst ähnlich

                ist, weder leicht nachzuahmen, noch auch durch Nachahmung rasch zu
                erkennen sein, zumal für eine Volksversammlung und für jenes bunte
                Allerlei von Menschen, welches in Theatern sich einfindet, denn für
                Solche wird es zur Nachahmung eines ihnen fremden Zustandes. – Ja
                wohl, durchaus so. – Der nachahmende Dichter aber besteht klärlicher
                Weise von Natur aus nicht für den derartigen Theil der Seele, und seine

                Weisheit ist nicht darauf erpicht, diesem zu gefallen, woferne er ja bei
                dem großen Haufen Ruhm erreichen will, sondern auf den zum Unwillen
                geneigten und bunten Charakter ist er gerichtet, weil dieser leicht
                nachzuahmen ist. – Ja, klärlich. – Nicht wahr also, mit Recht wohl
                möchten wir ihn jetzt aufgreifen und als Gegenstück ihn dem Maler
                gleichstellen? denn sowohl darin gleicht er ihm, daß er Dinge macht,
                welche im Vergleiche mit der Wahrheit schlecht sind, als auch darin ist er

                ihm ähnlich, daß er mit einem andern ihm entsprechenden Theile der
                Seele in Verkehr ist, nicht aber mit dem besten. Und auf diese Weise
                demnach möchten wir wohl berechtigt sein, ihn in einen Staat, welcher
                guter Gesetze sich erfreuen soll, nicht aufzunehmen, weil er eben jenen
                Theil der Seele erweckt und nährt und indem er ihn stark macht, den
                vernünftigen zu Grunde richtet, gerade wie wenn in einem Staate Jemand

                die Schlechten mächtig machen und ihnen den Staat übergeben, die
                Liebenswürdigsten aber vernichten würde; ebenso, werden wir
                behaupten, pflanze der nachahmende Dichter eine schlechte Verfassung
                der Seele eines jeden Einzelnen ein, indem er dem unverständigen Theile
                derselben zu Gefallen sei und Demjenigen, welcher weder das Größere,
                noch das kleinere unterscheidend zu erkennen vermag, sondern Ein und
                das Nemliche bald für groß und bald für klein hält, Abbilder von

                Abbildern verfertigt, und von der Wahrheit sehr weit entfernt steht. – Ja
                wohl, allerdingsWenn demnach hier mit dürren Worten gesagt wird, daß
                die Poesie und die Kunst überhaupt der schlechteren Seite des Menschen
                angehöre und das Schlechtere befördere, so wird unser Urtheil kaum zu





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