Page 350 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Menschen zu bilden und besser zu machen, insoferne er in dieser
                Beziehung nicht bloß zur Nachahmung, sondern auch zur Einsicht
                befähigt gewesen wäre, er sich dann nicht gar viele Freunde erworben

                hätte und von diesen geehrt und gelabt worden wäre, wohingegen ja
                Protagoras von Abdera und Prodikos von KeosS. über dieselben m.
                Uebers. d. gr. Ph. S. 46 f. und gar viele Andere befähigt sind, ihren
                Gefährten durch Einzel-Umgang so beizustehen, daß jene weder ihr
                eigenes Haus, noch ihren Staat einzurichten vermögen, wenn nicht sie
                über die ganze Bildung wachen, und sie dann wegen dieser Weisheit so
                sehr geehrt werden, daß ihre Genossen sie fast auf den Köpfen

                herumtragen; den Homeros aber, oder auch den Hesiodos hätten etwa
                seine Zeitgenossen, wenn er im Stande gewesen wäre, den Menschen
                bezüglich der Vortrefflichkeit Nutzen zu bringen, als Volksänger
                herumziehen lassen, und nicht in weit höherem Grade, als an Gold, sich
                an ihn angeklammert und ihn nicht genöthigt, bei ihnen zu Hause zu
                bleiben, oder falls sie ihn nicht hiezu überreden konnten, nicht selbst sich

                auf den Weg gemacht und dort die Erziehung veranstaltet, bis sie in
                genügender Weise Bildung erreicht werden? – Durchaus, o Sokrates,
                sagte er, scheinst du mir wahr zu sprechen. – Nicht wahr also, nun
                wollen wir die Behauptung aufstellen, daß von Homeros angefangen alle
                Dichter nur Nachahmer von Abbildern der Vortrefflichkeit und der
                übrigen Dinge, welche sie dichten, seien, aber die Wahrheit gar nicht
                berühren, sondern daß, wie wir so eben sagten, der Maler einen

                Lederarbeiter eben als einen Scheinbaren malen wird, wobei sowohl er
                selbst von der Lederverarbeitung Nichts versteht, als auch für Leute
                malt, welche gleichfalls Nichts davon verstehen, hingegen nur aus den
                Farben und Formen es betrachten. – Ja wohl, allerdings. – Auf diese
                Weise demnach, glaube ich, werden wir behaupten, daß auch der Dichter
                irgend einige Farben der einzelnen Künste vermittelst der Namen und

                Worte hinstreiche, ohne selbst Etwas zu verstehen, sondern er eben nur
                es nachahme, so daß anderen eben so Beschaffenen, welche es aus den
                Sprachausdrücken betrachten, es ganz gut gesagt zu sein scheint, mag
                von der Lederverarbeitung oder von Feldherrnwürde oder irgend etwas
                Anderem in Versmaß und Rhythmus und musikalischer Composition die
                Rede sein, und daß dann auf diese Weise Solches von Natur aus einen
                gewissen mächtigen Zauber-Reiz ausübe; denn was die Produkte der

                Dichter betrifft, wenn sie von den musischen Farben entkleidet sind und
                bloß an und für sich ausgesprochen werden, so glaube ich wohl, du
                wissest bereits, wie sie dann sich zeigen; denn du hast sie wohl schon
                gesehen. – Ja, gewiß. – Nicht wahr also, sagte ich, sie gleichen den





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