Page 352 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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beiden. – Weder ein Wissen also, noch eine richtige Meinung wird der
                Nachahmer betreffs dessen, was er nachahmt, in Bezug auf Schönheit
                oder Schlechtigkeit desselben haben. – Es scheint nicht. – Ein gar

                köstlicher Mensch also möchte wohl der vermöge der Nachahmung
                Nachahmende bezüglich der Weisheit bei jenem sein was er verfertigt. –
                Wohl nicht gar zu köstlich. – Aber dennoch ja nun wird er eben
                nachahmen, obwohl er bei dem Einzelnen nicht weiß, in welcher
                Beziehung es schlecht oder brauchbar sei; hingegen gerade das wird er,
                wie es scheint, nachahmen, was der Menge und den Nichtwissenden als
                schön erscheint. – Wie sollte er auch etwas Anderes nachahmen? –

                Darüber demnach haben wir uns, wie sich zeigt, nun so ziemlich
                verständigt, daß der Nachahmende Nichts der Rede Werthes über
                dasjenige weiß, was er nachahmt, sondern daß die Nachahmung irgend
                ein Spiel, nicht aber ein Ernst ist, und daß alle Diejenigen, welche an die
                hochtrabende Dichtkunst in jambischen oder in epischen Versen sich
                machen, im höchst möglichen Grade Nachahmer seien. – Ja wohl,

                allerdings. –
                     5. Bei Gott aber, sagte ich, steht eben dieses Nachahmen nicht in
                dritter Linie entfernt von der Wahrheit? Oder wie? – Ja. – Auf welchen
                Theil des Menschen nun übt es seine Macht aus? – Was meinst du wohl
                hiemit? – Folgendes: Ein und die nemliche Größe erscheint uns doch
                wohl vermittelst des Gesichtssinnes von Nahe und von Ferne nicht
                gleichgroß? – Nein, allerdings nicht. – Und Ein und das Nemliche

                erscheint gebogen und geradlinig, wenn wir es im Wasser und außerhalb
                desselben sehen, und auch wiederum hohl und erhaben erscheint Etwas
                wegen des die Farben betreffenden Irrthumes des Gesichtssinnes, und es
                ist klar, daß diese gesammte Verwirrung in unserer Seele sich einfindet;
                diesem Zustande unserer Natur bereitet dann die Kunst der Schattenrisse
                Nachstellungen und bleibt hierin hinter einer Zauberei nicht zurück, und

                ebenso auch die Taschenspielerkunst und viele andere derartige
                Veranstaltungen. – Dieß ist wahr. – Haben sich nun nicht das Messen und
                das Zählen und das Wägen als die köstlichsten Hilfsmittel hiegegen
                gezeigt, so daß in uns nicht der bloße Schein des Größeren oder
                Kleineren oder des Mehreren oder des Schwereren eine Herrschaft
                ausübe, sondern eben das Rechnende und Messende und Wägende? –
                Warum auch nicht? – Aber dieß ja nun wäre doch wohl ein Werk des

                vernünftigen Theiles in der Seele? – Ja, allerdings. – Häufig aber wird
                diesem, während er mißt und von irgend Dingen es ausspricht, daß sie
                größer oder kleiner als andere oder gleichgroß seien, zugleich betreffs
                der nemlichen Dinge das Gegentheil erscheinen. – Ja. – Nicht wahr also,





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