Page 347 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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dem Wahren entfernt ist die nachahmende Kunst, und dadurch, wie es
                scheint, bewerkstelligt sie Alles, daß sie nur ein Kleines an jedem, und
                zwar nur ein Abbild ergreift; wie z. B. der Maler, sagen wir, wird uns

                einen Lederarbeiter, einen Baumeister, und alle übrigen Handwerker
                malen, ohne betreffs der Kunst irgend Eines derselben Etwas zu
                verstehen; aber dennoch wird er, wenn er ein guter Maler ist, Kinder und
                unverständige Menschen dadurch, daß er einen Baumeister malt und von
                Weitem ihnen zeigt, so täuschen, daß sie glauben würden, es sei wirklich
                ein Baumeister. – Warum auch nicht? – Aber dieß ja, mein Freund;
                glaube ich, müssen wir betreffs all des Derartigen bedenken, daß, wenn

                jemand uns erzählt, er habe einen Menschen getroffen, welcher alle
                Handwerke und alles Uebrige, was Jeder als Einzelner weiß, sämmtlich
                genauer als jeder Sachverständige gewußt habe, man hiernach annehmen
                müsse, es habe irgend ein einfältiger Mensch, wie es scheint, einen
                Zauberer und Nachahmer getroffen, und sei von ihm so getäuscht
                worden, daß jener ihm als ein Allweiser erschien, weil er eben selbst

                nicht im Stande war, Wissen und Nichtwissen und Nachahmung prüfend
                zu unterscheiden. – Sehr wahr, sagte er. –
                     3. Nicht wahr also, sprach ich, hiernach nun müssen wir es betreffs
                der Tragödie und des Homeros, ihres Führers, erwägen, da wir ja von
                Einigen hören, daß diese es seien, welche alle Künste verstehen, und alle
                menschlichen Verhältnisse bezüglich der Vortrefflichkeit und der
                Schlechtigkeit, und auch alle göttlichen Dinge. Nothwendig nemlich

                muß der gute Dichter, woferne er jenes, worüber er dichtet, schön
                dichten will, als ein Wissender es dichten oder außerdem zum Dichten
                unfähig sein. Demnach also müssen wir erwägen, ob Jene etwa
                gleichfalls nur auf Wahrsager gestoßen und von diesen getäuscht worden
                seien und beim Anblicke der Werke derselben nicht bemerkten, daß diese
                in dritter Linie vom wirklich Seienden entfernt sind und gar leicht von

                Einem verfertigt werden können, welcher die Wahrheit nicht weiß, denn
                nur Erscheinungen, nicht aber wirklich Seiendes verfertigen Jene, oder
                ob dieselben Etwas sagen, was Grund hat, und ob wirklich die guten
                Dichter ein Wissen betreffs desjenigen haben, worüber sie der Menge gut
                zu sprechen scheinen. – Ja, allerdings, sagte er, muß man dieses prüfen. –
                Glaubst du also, es würde Jemand, falls er die Fähigkeit hätte, Beides zu
                verfertigen, nemlich sowohl den Gegenstand der Nachahmung, als auch

                das Abbild, sich selbst der Anfertigung von Nachbildern mit allem Eifer
                hingeben, und dieß als seine Lebensaufgabe sich stellen, gerade als wäre
                er hiemit schon in dem besten Zustande? – Nein, gewiß nicht. – Sondern,
                er würde, glaube ich, wenn er je in Wahrheit ein Wissen über jenes hätte,





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