Page 345 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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der natürlichen Wesenheit zu verfertigen, auf diese Weise eben nur jenen
Einen allein gemacht, welcher der eigentliche Stuhl ist; zwei oder
mehrere derartige aber sind von Gott weder gepflanzt worden, noch
dürften sie jemals hervorsprossen. – Wie so? sagte er. – Weil, erwiederte
ich, wenn er auch nur zwei gemacht hätte, doch wieder ein Einer sich
zeigen würde, dessen Form hinwiederum jene beiden hätten, und dann
eben jener der eigentliche Stuhl wäre, nicht aber die zwei. – Dieß ist
richtig, sagte er. – Dieß also wußte der Gott, glaube ich, und da er der
wirkliche Verfertiger eines wirklichen Stuhles sein wollte, nicht aber
irgend eines einzelnen Stuhles und auch nicht irgend ein einzelner Stuhl-
Verfertiger, so ließ er eben jenen Einen von Natur aus hervorsprossen. –
Ja, so scheint es. – Willst du also, daß wir diesen als den Natur-Urheber
desselben, oder als sonst einen Derartigen bezeichnen? – Ja, gerecht
wenigstens ist dieß, sagte er, da er ja von Natur aus sowohl dieses Ding,
als auch alles Uebrige gemacht hat. – Wie aber? den Handwerker nicht
etwa als den Verfertiger des Stuhles? – Ja. – Also etwa den Maler
gleichfalls als einen Verfertiger und Hervorbringer von Derartigem? –
Keineswegs. – Aber als was bezüglich des Stuhles wirst du ihn denn
bezeichnen? – Eben dieß, sagte er, scheint mir die passendste
Benennung, daß er ein Nachahmer desjenigen sei, dessen Verfertiger
jene Anderen sind. – Gut, sprach ich; denjenigen also, welchem als
dritten von der natürlichen Wesenheit aus gezählt das Erzeugniß
angehört, nennst du einen Nachahmer? – Ja wohl, allerdings, sagte erDaß
es bei Plato an einem richtigen Verständnisse des Wesens der Poesie
gebreche, sahen wir schon oben Anm. 42; daß aber in noch höherem
Grade bezüglich einer philosophischen Construktion der Kunst
überhaupt ein direktes Mißverständniß obwalte, erhellt aus dieser Stelle
sowie aus der ganzen langgedehnten Erörterung, welche vom vorigen
Cap. an bis zum Schlusse des 8. sich erstreckt. Die Grundlage der
platonischen Ansicht beruht in folgender Behauptung: das wahre Wesen
aller Dinge ist die einheitliche Idee, welche für die je gleichbenannten
Dinge immer nur in Einem Exemplare von der Gottheit angefertigt ist;
hingegen alle vielheitlichen Individuen Ein und desselben gleichartigen
Dinges gehören, mögen sie sog. Naturprodukte oder Menschenwerk sein,
eben weil sie vielheitlich sind, dem Bereiche des Dunklen und
Undeutlichen an und sind bloße Abbilder der Idee; endlich aber gibt es
auch noch Abbilder dieser Abbilder gleichsam als tertiäre Gebilde, und
diese sind die Produkte der Künstler, der Maler sowie der Dichter u. s. f.
Eben hierin aber nun liegt der grobe Verstoß, welchen Plato gegen das
Wesen der Kunst begeht, daß er meint, die Kunstschöpfung sei
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