Page 348 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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was er nachahmt, doch weit eher seinen Eifer auf die Dinge selbst, als
auf deren Nachahmungen verwenden, und es versuchen, viele herrliche
Dinge als Werke seiner selbst zu hinterlassen, und würde es vorziehen,
der Gepriesene, nicht aber der Preisende zu sein. – Ich glaube es
allerdings, sagte er: denn nicht in gleichem Maße besteht in beiden
Fällen Ehre und Nutzen. – Betreffs der übrigen Dinge also wollen wir
von Homeros oder irgend anderen Dichtern keine Rechenschaft fordern,
indem wir etwa fragen, falls Einer von ihnen wirklich ein
Arzneikundiger oder nur ein Nachahmer arzneikundiger Reden war,
welche Menschen denn Einer von den Alten oder von den Neueren eben
als Dichter gesund gemacht habe, wie AsklepiosS. m. Anm. 24 z.
»Gastmahl«., oder welche Schüler der Arzneikunde er hinterlassen habe,
wie jener seine Nachkommen; und auch hinwiederum betreffs der
übrigen Künste wollen wir sie nicht fragen, sondern dieß bei Seite
lassen; hingegen betreffs des Größten und Schönsten, worüber Homeros
zu sprechen versuchte, betreffs der Kriege und Feldherrnwürde und
Staatsverwaltung und Menschenbildung dürfen wir doch wohl gerechter
Weise fragen, indem wir zu ihm sprechen: »Lieber Homeros, wenn du
nicht als Dritter, von der Wahrheit aus gezählt, betreffs der
Vortrefflichkeit nur ein Verfertiger eines Abbildes bist, wie wir eben den
Nachahmer bezeichneten, sondern wenn du auch nur ein Zweiter und zu
erkennen im Stande warst, welche Thätigkeit die Menschen als Einzelne
und im Staate besser und schlechter mache, so sage uns, welcher unter
allen Staaten durch dich eine bessere Einrichtung erhalten habe, wie ja
Lakedämon durch Lykurgos und viele andere große und kleine Staaten
durch viele andere Männer; welcher Staat hingegen schreibt dir das
Verdienst zu, daß du ein guter Gesetzgeber gewesen seist und den
Bürgern Nutzen gebracht habest? dem CharondasCharondas von Catana
in Sicilien, berühmter Gesetzgeber seiner Vaterstadt und mehrerer
chalkidischer Colonien an der sicilischen und italischen Küste, lebte in
der Mitte des siebenten Jahrh. v. Chr. schreibt Italien und Sicilien dieses
Verdienst zu, und wir dem Solon; wer aber dir?« Wird er dann wohl
irgend einen Staat nennen können? – Ich glaube nicht, sagte Glaukon; es
wird wenigstens auch selbst von den HomeridenDie Homeriden gelten in
der Tradition bei den Alten als die durch mehrere Generationen sich
erstreckenden leiblichen Nachkommen des angeblichen Homeros;
insbesondere ist die Insel Chios der Ort, auf welchen fast alle Angaben
bezüglich der Homeriden hinweisen. Die Annahme einer eigentlich
genealogischen Fortpflanzung des Geschlechtes vom ersten angeblichen
Stammvater an fällt natürlich großenteils auf Rechnung der
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