Page 353 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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wir behaupteten B. IV, Cap. 12., es sei unmöglich, daß Ein und der
                nemliche Theil über das Nemliche zugleich entgegengesetzte Meinungen
                habe? – Ja, und mit Recht behaupteten wir es. – Also jener Theil der

                Seele, welcher eine dem Messen widersprechende Meinung hat, ist nicht
                der nemliche, wie jener, welcher eine dem Messen entsprechende hat? –
                Nein, allerdings nicht. – Nun aber möchte wohl jener Theil, welcher dem
                Messen und Rechnen vertraut, das Beste in der Seele sein. – Wie sollte
                es auch anders sein? – Also dürfte wohl dasjenige, was diesem sich
                widersetzt, zu dem Schlechten in uns gehören. – Ja, nothwendig. – Dieß
                demnach ist es, worüber ich eine Verständigung erzielen wollte, als ich

                sagte, daß die Malerei und überhaupt die Kunst des Nachahmens weit
                von der Wahrheit entfernt ihr Werk vollbringt, und hinwiederum auch
                mit jenem in uns, was weit von der Verständigkeit entfernt ist, umgeht
                und mit ihm verbunden und befreundet ist zu keinem gesunden und
                keinem wahren Zwecke. – Ja, durchaus so, sagte er. – Also als eine
                schlechte mit Schlechten verkehrend erzeugt schlechte Dinge die Kunst

                der Nachahmung. – Ja, so scheint es. – Etwa nun bloß jene, sagte ich,
                welche sich auf den Gesichtssinn bezieht, oder auch die auf das Gehör
                bezügliche, welche wir als Dichtkunst bezeichnen? – Es scheint
                wenigstens, sagte er, daß auch diese. – Wir wollen demnach nicht bloß
                jenem Wahrscheinlichen vertrauen, welches sich uns aus der Malerei
                ergibt, sondern auch gerade zu jenem Theile der Denkthätigkeit uns
                wenden, mit welchem die nachahmende Dichtkunst in Verkehr steht, und

                sehen, ob derselbe schlecht oder tüchtig sei. – Dieß müssen wir wohl. –
                Folgendermassen denn nun wollen wir uns dieß vor Augen stellen:
                Handelnde Menschen, behaupten wir, ahmt diese Kunst der
                Nachahmung nach, welche entweder in gewaltmäßigen oder in
                freiwilligen Handlungen sich betätigen und in Folge hievon sich gut oder
                schlecht zu befinden glauben und bei all diesem entweder Schmerz oder

                Freude empfinden, oder etwa außer diesem auch noch anderes? – Nein,
                nichts Anderes. – Verhält sich nun bei all diesem der Mensch in seinem
                Denken einstimmig, oder wird er, sowie er bezüglich des Gesichtssinnes
                in Zwiespalt war und in sich selbst zugleich entgegengesetzte
                Meinungen betreffs des Nemlichen hatte, ebenso auch in den
                Handlungen in Zwiespalt sein und selbst mit sich selbst kämpfen? ich
                erinnere mich aber, daß es uns jetzt nicht mehr nöthig ist, uns hierüber zu

                verständigen, denn in den obigen Begründungen B. IV, Cap. 14. haben
                wir uns hinreichend über all dieses verständigt, daß unsere Seele von
                unzähligen derartigen Gegensätzen, welche zugleich eintreten, strotze. –
                Dieß ist richtig, sagte er. – Ja, allerdings richtig, sprach ich; aber was wir





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