Page 342 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Zehntes Buch.
Inhaltsverzeichnis
1. Und in der That, sprach ich, sowohl in vielen anderen Beziehungen
denke ich über jenen Staat nach, daß wir ihn auf das richtigste einrichten,
als auch insbesondere erwäge ich es betreffs der Dichtkunst und sage –
Was denn? sprach er. – Daß man in keiner Weise alle diejenige unter
derselben aufnehmen solle, welche nachahmend ist; es wird sich
nemlich, wie mir scheint, jetzt noch viel deutlicher zeigen, daß man sie
um keinen Preis aufnehmen soll, nachdem wir ja die Formen der Seele
einzeln von einander getrennt aufgestellt haben. – Wie meinst du dieß? –
Unter uns gesagt, – denn ihr werdet mich nicht den Tragödiendichtern
und übrigen Künstlern der Nachahmung verrathen –, eine Makel scheint
mir all das Derartige für die Denkthätigkeit jener Hörenden zu sein,
welche nicht ein Heilmittel hiegegen in dem Wissen des wirklichen
Seins der Dinge besitzen. – In welcher Beziehung, sagte er, betrachtest
du dieses, um so zu sprechen? – Ich muß es wohl sagen, erwiederte ich,
obwohl mich eine gewisse Liebe und Scheu, welche ich von Kindheit an
gegen Homeros hege, daran hindert, es auszusprechen; denn er scheint
der erste Lehrer und Führer all dieser herrlichen Tragiker geworden zu
seinInsoferne die sog. Cyklischen Dichter, welche die Heroen-Sage
einzelner Städte und Länder in epischen Gesängen ausführten, als eine
Fortsetzung der homerischen Poesie bezeichnet werden können, aus den
Cyklikern aber im Ganzen der Stoff aller griechischen Tragödien
geschöpft ist, kann gewissermaßen in literargeschichtlicher Beziehung
wohl richtig gesagt werden, daß Homer der Ausgangspunkt der Tragiker
sei.; aber höher als die Wahrheit darf ein Mensch nicht geschätzt werden,
und ich muß demnach sagen, was ich meine. – Ja wohl, allerdings, sagte
er. – So höre denn nun, oder vielmehr antworte mir. – Frage du nur. –
Könntest du mir im Ganzen sagen, was wohl Nachahmung sei? denn ich
selbst sehe es nicht völlig ein, was ihr eigentliches Sein wohl sein möge.
– Werde dann etwa ich, sagte er, es einsehen? – Dieß wäre ja, erwiederte
ich, nichts Unbegreifliches, denn viele Dinge sehen Stumpfsichtigere
eher als Scharfsichtigere. Diese Wendung des Gespräches ist in doppelter
Beziehung geschmacklos, denn erstens hätte der wirkliche Sokrates
gewiß selbst dem unfähigsten Schüler gegenüber nie einen solchen
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