Page 338 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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wollen wir ihn fragen: »O du Hochzupreisender, dürfen wir nicht
behaupten, daß auch dasjenige, was als schön und als schimpflich gilt,
eben durch das Derartige entstanden sei? nemlich daß das Schöne jenes
sei, wodurch das Thierische in der Natur unter die Leitung des
Menschen, oder vielmehr vielleicht unter die Leitung des Göttlichen
gebracht wird, schimpflich hingegen dasjenige, wodurch das Zahme
unter die Leitung des Wilden geknechtet wird?« Wird er dieß bejahen,
oder wie meinst du? – Ja wohl, sagte er, wenn er von mir sich
überzeugen läßt. – Gibt es also wohl, sprach ich, Jemanden, dem es in
Folge dieser Begründung gewinnbringend sein könnte, in ungerechter
Weise Gold zu empfangen, woferne ja irgend Derartiges eintreten muß,
daß, sobald er das Gold empfangen, er zugleich das Beste in ihm unter
die Herrschaft des Schlechtesten knechtet? oder wenn Jemand auf den
Empfang des Goldes hin seinen Sohn oder seine Tochter in Sklaverei
brachte, und noch dazu in das Haus wilder und schlechter Männer, so
würde es ihm doch wohl nicht gewinnbringend sein, selbst wenn er unter
solcher Bedingung gar viel Gold empfinge; wenn er aber nun das
Göttlichste in ihm selbst unter die Herrschaft des Gottlosesten und
Verwerflichsten knechten würde und kein Erbarmen damit hatte, würde
er da nicht unglücklich sein und zu einer weit ärgeren verderblichen
Handlung durch Gold sich bestechen lassen, als Eriphyle, welche für das
Leben ihres Mannes jenen Halsschmuck empfingDer in der späteren
Sage reichlicher ausgeschmückte Mythus von Eriphyle erscheint schon
in der Odyssee (XI, V. 326 f. und XV. V. 247 f.) angedeutet. Eriphyle war
die Gattin des Sehers Amphiaraus, und bewog denselben, nachdem
Polyneikes, der Sohn des Oedipus, ihr den Halsschmuck der Harmonia
geschenkt hatte, auf diese Bestechung hin dazu, daß er wider seinen
eigentlichen Willen an dem Feldzuge der Sieben gegen Theben Theil
nahm, obwohl er als Seher seinen gewissen Untergang voraussah;
Amphiaraus aber trug seinem Sohne Alkmäon auf, hiefür an Eriphyle
Rache zu nehmen, und letzterer tödtete nach dem Tode des Vaters seine
Mutter in Folge eines von Apollo ertheilten Orakelspruches.. –
Allerdings bei Weitem etwas Aergeres, sagte Glaukon; nemlich ich will
anstatt desjenigen, den du fragst, antworten. –
13. Nicht wahr also, du glaubst wohl auch, daß die Zügellosigkeit
eben deswegen schon von Alters her getadelt werde, weil bei Derartigem
jenes Arge, nemlich jenes große und vielgestaltige Unthier, mehr als es
sein sollte, freigelassen wird? – Ja, klärlich, sagte er. – Wird aber nicht
die Anmaßung und Unverträglichkeit eben dann getadelt, wenn das
Löwenartige und Drachenartige in unharmonischer Weise wächst und
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