Page 374 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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sowohl selbst sich anstrengten, als auch von Anderen dieß sahen, nicht
                auf den ersten Anlauf die Wahl träfen. Daher denn auch den meisten der
                Seelen ein Wechsel bezüglich des Guten und Schlechten sich ergebe, und

                dieß auch vermittelst des Zufalles des Looses eintreteD. h. wer im
                früheren Leben gut war und daher nach dem Tode die Wanderung durch
                den Himmel machte, wählt aus Mangel an Uebung in Gefahren dann
                meistens ein schlechteres Leben; hingegen wer schlecht gewesen war
                und die mühevolle Wanderung unter der Erde durchmachte, wählt, da er
                gewitzigt ist, in der Regel ein besseres Leben. Stets gleichmäßig aber ein
                gutes Leben wird nur jener wählen, welcher durch Philosophie sich

                stärkt und noch dazu in der Reihenfolge beim Wählen durch den Zufall
                begünstigt wird, insoferne es ihn nicht unter den Letzten trifft. Warum
                aber auf diese Weise doch das Loos einen Einfluß ausübe, gibt Plato
                nicht an; der wahrscheinliche Grund hiefür dürfte vielleicht darin liegen,
                weil, wer zu Anfang wählt, unbefangener auf seinen philosophischen
                Takt sich verläßt, hingegen eine ängstliche oder etwa selbst begehrliche

                und neidische Erwägung eintritt, wenn schon Mehrere vorher gewählt
                haben.; denn wenn Jemand, so oft er in das hiesige Leben gelangt, in
                gesunder Weise an der Weisheitsliebe festhält und ihn das Loos zum
                Wählen dort nicht unter den letzten trifft, so kömmt es in Folge des von
                dorther uns berichteten wohl darauf hinaus, daß er nicht bloß hier auf
                Erden glücklich sein wird, sondern auch die Wanderung von hier dorthin
                und wieder von dort hieher zurück ihm keine unterirdische und rauhe,

                sondern eine glatte und himmlische sein werde. Und diesen Anblick
                denn nun zu sehen, erzählte er, lohne sich der Mühe, wie nemlich die
                einzelnen Seelen damals ihre Lebensweisen gewählt hätten; denn
                bemitleidenswert und lächerlich und wunderbar sei es zu sehen gewesen;
                sie hätten nemlich meistens in Folge der Gewöhnung aus dem früheren
                Leben die Wahl getroffen. So habe er gesehen, wie die Seele, welche

                einst die des Orpheus gewesen war, das Leben eines Schwanes wählte,
                indem sie aus Haß gegen das Geschlecht der Weiber wegen ihres durch
                jene erfolgten Todes nicht aus einem Weibe geboren werden wollteEs ist
                bekannt, daß der Mythus den Orpheus durch dionysische Mänaden
                zerrissen werden läßt.; gesehen aber habe er auch, wie die Seele des
                ThamyrasThamyras, häufiger Thamyris genannt, gehört zu jenen
                kulturgeschichtlichen Symbolen, wie z. B. auch Olympos oder Marsyas

                (s. m. Anm. 68 u 69 z. »Gastmahl«); er wird ein Sohn der Muse Erato
                genannt und als ein vermessener Sterblicher bezeichnet, da er die Musen
                zum Wettkampfe herausforderte, wobei er unterlag und zur Strafe
                geblendet wurde. das Leben einer Nachtigall wählte, und auch gesehen,





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