Page 566 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Disputirenden zu bedienen, die wackerer wiederholen als antworten,
                indem sie ein gutes Gedächtniß für besonders preiswürdig ansehen.
                »Wahrlich, du hast gut gesprochen,« sagte er, »da du nämlich ein

                Fremder bist, der von diesen Dingen eher etwas hören als gründlich
                verstehen kann, was ich sofort mit wenigen Worten klar legen werde.
                Zuerst werde ich noch einmal durchnehmen, was du vorgebracht hast,
                sodann werde ich zeigen, wie dich die Unkenntniß unserer Verhältnisse
                irregeführt hat, zuletzt werde ich nacheinander alle deine Gründe
                widerlegen und zunichte machen.
                     Also ich gehe von dem ersten Theile meines Versprechens aus; du

                scheinst mir vier –«
                     »Halt«, sagte der Kardinal; »es dünkt mich, derjenige werde nicht
                eine kurze Antwort geben, der so anfängt. Daher überheben wir dich für
                jetzt einer Beantwortung, die wir aber gleichwohl für eure nächste
                Zusammenkunft aufsparen wollen, die ich gern (wenn du oder Raphael
                nicht verhindert ist) für morgen ansetzen möchte. Inzwischen aber

                möchte ich von dir, lieber Raphael, gar gerne hören, warum der
                Diebstahl nach deiner Meinung nicht mit dem Tode zu bestrafen sei und
                was für eine andere Strafe du statuirst, die sich dem Gemeinwohl
                zuträglicher erweist, denn daß er zu dulden sei, das meinst auch du nicht.
                Wenn aber jetzt nicht einmal der Tod vom Stehlen abhalten kann,
                welches Schreckmittel vermochte sich, ist die Sicherheit des Lebens erst
                einmal gewährleistet, gegen die Verbrecher noch wirksam erweisen, die

                die Auffassung bekunden würden, die Milderung der Strafe sei eine Art
                Ermunterung zum Verbrechen?«
                     »Sicherlich, ehrwürdigster Vater,« erwiderte ich, »halte ich die
                Entziehung des Lebens für die Entziehung von Geld für geradezu
                ungerecht. Es ist meine Meinung, daß sämmtliche Glücksgüter das
                menschliche Leben nicht aufwiegen können. Wenn man aber sagte, daß

                die verleite Gerechtigkeit, die übertretenen Gesetze durch diese Strafe
                gesühnt werden sollen, und nicht die Entwendung des Geldes, – warum
                sollte dieses höchste Recht nicht mit Fug höchstes Unrecht genannt
                werden? Denn weder ist jene Manlische Strenge der Gesetze zu billigen,
                daß in den leichtesten Fällen das Schwert ohne Nachsicht zu ziehen sei,
                noch jene stoïsche Unbeugsamkeit daß alle Vergehen gleich geachtet
                werden, als ob es keinen Unterschied mache, ob Einer Einen todtschlage,

                oder ihm blos Geld entwende, Vergehen, die, wenn die Billigkeit mehr
                als leerer Schall ist, nicht die geringste Aehnlichkeit und Verwandtschaft
                mit einander haben. Gott hat verboten, irgend einen Menschen zu tödten,







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