Page 569 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Arbeit, sondern, wenn ein Privatmann Arbeitskräfte braucht, so geht er
auf das Forum und miethet sich Leute für den Tag, für einen um ein
Weniges geringeren Lohn, als ein freier Mann bekäme. Es ist erlaubt, die
Trägheit eines solchen Mannes mit Strafe zu züchtigen. So fehlt es
diesen Leuten nie an Arbeit, und außer daß sie ihren Lebensunterhalt
verdienen, können sie noch täglich eine Kleinigkeit an den Staatsschatz
abgeben. Sie sind alle gleichmäßig in dieselbe Farbe gekleidet; das
Haupthaar wird ihnen nicht geschoren, außer ein klein wenig über den
Ohren, deren eines ein bischen gestutzt wird. Speise und Trank darf
Jeder von seinen Freunden annehmen und ein Kleid seiner Farbe; auf der
Annahme wie auf der Schenkung von Geld steht für beide Theile
Todesstrafe; nicht minder gefährlich ist es auch für einen Freien aus
irgend einem Grunde von einem Verurtheilten Geld anzunehmen, sowie
für die Sklaven – so werden die Verurtheilten genannt – Waffen
anzurühren. In jedem Landstrich werden sie durch ein eigenes Zeichen
unterschieden, das abzulegen ein todeswürdiges Verbrechen ist, ebenso,
wenn Einer außerhalb der Grenzen seines Landstriches erblickt oder mit
einem Sklaven eines andern Landstriches sprechen gesehen wird.
Geplante Flucht wird der wirklichen gleichgerechnet. Mitwisser eines
solchen Plans zu sein, bedeutet für einen Sklaven den Tod, für den Freien
Sklaverei. Für die Angeber sind Prämien ausgesetzt, Geld für einen
Freien, die Freiheit für einen Sklaven und Vergebung und Straffreiheit
für beide, so daß die Verfolgung eines bösen Planet nie mehr Sicherheit
bringt als Reue über denselben.
Diese Institutionen und Gesetze bestehen hinsichtlich des Diebstahls;
wie human und von wie praktischem Nutzen sie sind, ist leicht zu sehen.
Die Schärfe des Gesetzes bezweckt nur die Vernichtung der Verbrechen,
aber die Schonung der Menschen, die so behandelt werden, daß sie sich
bessern müssen und den Schaden, den sie einst angestiftet haben, ihr
ganzes Leben lang gut zu machen gehalten sind. Und so wenig Furcht
besteht, daß sie in ihren früheren Lebenswandel zurückfallen, daß die
Wanderer, die eine Reise irgendwohin vorhaben, sich gar keine
sichereren Führer nehmen zu können vermeinen, als diese Sklaven, die
sie von einem Landstrich zum andern wechseln. Sie sind nämlich einen
Diebstahl zu begehen gerade am wenigsten in der Lage. Waffen dürfen
ihre Hände nicht führen, bei ihnen gefundenes Geld würde sofort zum
Verräther ihres Verbrechens werden, des Ertappten wartet die sichere
Strafe und jede Hoffnung auf Flucht in irgend einer Richtung ist
rundweg abgeschnitten. Wie sollte er seine Flucht bemänteln, er, der in
jedem Kleidungsstücke vom ganzen Volke sich unterscheidet, wenn er
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