Page 568 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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in die Steinbrüche und Erzgruben, wo sie nach Metallen schürfen
mußten, woselbst sie zeitlebens Ketten zu tragen hatten.
Uebrigens billige ich in dieser Beziehung keine Einrichtung eines
Volkes mehr, als jene, die ich während meiner Reisen in Persien bei den
Polyleriten, wie sie gewöhnlich genannt werden, getroffen habe, einer
nicht kleinen Völkerschaft mit vernünftigen Einrichtungen, die außer
einem jährlich dem Perserkönig gezahlten Tribut sonst frei ist, und unter
eigenen Gesetzen steht. Da sie aber weit von der See abliegen, fast
ringsum von hohen Bergen eingeschlossen sind, und mit den
Erzeugnissen ihres Landes in jeder Beziehung sich begnügen, mit
anderen Völkern nicht oft in Berührung kommen, sei's, daß sie zu diesen,
sei's, daß diese zu ihnen kämen, da sie nach alter Volkssitte nicht danach
trachten, ihre Grenzen zu erweitern, und ihre natürliche vor jedem
Angriffe durch Gebirge leicht geschützt wird, der Tribut, den sie dem
Mächtigen entrichten, sie von jedem Kriegsdienste befreit, so leben sie
behaglich in guten Verhältnissen, mehr glücklich als ritterlich oder
berühmt, denn ich vermuthe, sie sind, außer bei ihren nächsten
Grenznachbarn, kaum dem Namen nach bekannt.
Bei ihnen nun müssen die überführten Diebe das Gestohlene dem
Eigenthümer zurückgeben, nicht, wie in andern Ländern, dem Könige,
der, wie sie meinen, gerade so viel Unrecht auf die gestohlene Sache hat,
als der Dieb selber. Ist aber die Sache zu Grunde gegangen, so wird der
Werth derselben aus dem Besitzthum der Diebe dem Bestohlenen
bezahlt, alles Uebrige läßt man der Frau und den Kindern des Diebes, sie
selbst aber werden zu öffentlichen Arbeiten verurtheilt, und wenn der
Diebstahl nicht unter Anwendung von Gewalt beruht worden ist, wirft
man sie weder ins Gefängniß noch in Ketten, sondern sie gehen bei den
Arbeiten durchaus frei einher. Die Widerspenstigen und träge sich
Gehabenden werden weniger durch Fesseln gehindert, als durch Schläge
angetrieben. Wenn sie die Arbeit wacker fördern, erfahren sie keine
Schelt- oder Tadelworte, nur zur Nachtzeit werden sie unter
Namensaufruf kontrollirt und in ihren Schlafräumen eingeschlossen.
Außer der unausgesetzten Arbeit erleiden sie keinerlei Ungemach. Ihre
gute Ernährung erfolgt, da sie in öffentlichen Diensten Arbeit verrichten,
von Staatswegen, anderswo anders. Hier und da wird nämlich durch
Almosen für sie gesammelt, und obwohl diese Art und Weise
einigermaßen unsicher ist, fällt die Beköstigung der Sträflinge immer
noch reichlicher als sonst irgendwo aus, da dieses Volk sehr mildthätig
ist. Es gibt auch Gegenden, wo männiglich einen Beitrag zu diesem
Zwecke abgibt. An einigen Orten verrichten sie auch keine öffentliche
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