Page 583 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Denn wo Jeder unter gewissen Rechtstiteln so viel er nur immer kann, an
sich zieht, und, so groß auch die Fülle der Dinge sein mag, nur einige
Wenige Alles unter sich auftheilen, da bleibt den Uebrigen nur Noth und
Entbehrung hinterlassen; und häufig trifft es sich, daß diese gerade das
Loos Jener verdienen, denn Jene sind räuberisch, unehrlich, zu nichts
nütze, diese dagegen bescheidene, schlichte Männer, und durch ihren
täglichen Gewerbfleiß fördern sie das Gemeinwesen mehr, als ihre
eigenen Interessen.
So habe ich die sichere Ueberzeugung gewonnen, daß die Habe der
Menschen einigermaßen nach Gleichheit und Billigkeit nicht vertheilt,
noch die irdischen Angelegenheiten glücklich gestaltet werden können,
wenn nicht alsbald das Privateigenthum aufgehoben wird. Bleibt dieses
aber bestehen, so wird auch immer bei dem größten und weitaus besten
Theile der Menschen ein unvermeidliches Bündel von Dürftigkeit und
peinlicher Drangsal bestehen bleiben.
Wie ich gestehe, daß dieselbe ein klein wenig gehoben und
erleichtert werden könne, ebensogut behaupte ich, daß sie vollständig
nicht aufgehoben werden könne. Denn wenn gesetzlich bestimmt würde,
daß Keiner über ein gewisses Maß Ackerland besitzen dürfe, daß für
Jeden ein gesetzlicher Census vorhanden sei, wie viel Geld er sein
nennen dürfe; wenn durch gewisse Gesetze vorgesehen wäre, daß der
Fürst nicht zu mächtig werde und das Volk nicht zu übermütig, daß
Aemter nicht durch Werbung oder käuflich erlangt werden, daß
Repräsentationsaufwand in ihnen nicht nöthig sei, weil sonst Gelegenheit
gegeben werde, durch Trug und Raub Geld zusammenzuschlagen, und
damit man nicht genöthigt werde, diese Aemter mit Reichen zu besetzen,
während sie vielmehr von geistig Begabten verwaltet werden sollen: –
durch solche Gesetze also, sage ich, lassen sich, wie sieche Körper in
beklagenswerthem Gesundheitszustande durch beständige
Linderungsmittel hingehalten zu werden pflegen, auch diese Uebel
abschwächen und mildern, daß sie aber von Grund aus geheilt werden
und ein gedeihlicher Zustand der Dinge herbeigeführt werde, dazu ist
keine Hoffnung vorhanden, so lange Jeder sein Privateigenthum für sich
hat. Denn während du auf der einen Seite Heilung schaffst,
verschlimmerst du die Wunden auf vielen andern Seiten, und so entsteht
aus der Heilung des Einen die Krankheit eines Andern, weil dem Einen
nicht zugelegt wer den kann, ohne daß es einem Andern weggenommen
wird.«
»Gerade im Gegentheil,« erwiderte ich, »scheint es mir, daß dort kein
behagliches Leben möglich ist, wo Gütergemeinschaft herrscht. Denn
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