Page 30 - Mariazell 2016
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"Weg der Barmherzigkeit"

für unsere eigenen kranken Stellen zu sehen.
Und heile nicht nur die Kranken, die wir besuchen,
sondern auch uns, die wir in irgendeiner Weise
auch krank und beschädigt sind.
Darum bitten wir durch Christus unsern Herrn. Amen.

Ins Wasser fällt ein Stein (Lob 240) Seite 73

Gefangene besuchen

Ein Gefängnisseelsorger erzählte mir, wie wenig Gefangene Besuch
bekommen. Viele Freunde genieren sich, den Gefangenen zu besuchen. Sie
haben Angst, mit dem Gefängnis in Verbindung gebracht zu werden. Oder sie
haben Angst, von ihren Nachbarn schief angesehen zu werden, wenn sie
einen Gefangenen besuchen. Sie könnten ja etwas mit diesem Gefangenen
und seinen krummen Sachen zu tun haben. Gefangene werden oft wie
Aussätzige behandelt. Und wenn sie freikommen, dann sind sie für ihr Leben
stigmatisiert.

Urteile und Vorurteile aufgeben.

Das Wort Jesu, zu den Gefangenen zu gehen, fordert uns auf, unsere eigenen
Urteile und Vorurteile aufzugeben. Wir haben auch für uns keine Garantie,
dass wir nicht mit den Gesetzen in Konflikt geraten und in eine Situation
kommen, dass wir verurteilt werden und ins Gefängnis müssen. Die
Weigerung, Gefangene zu besuchen oder mit ihnen Gemeinschaft zu haben,
entspringt oft der Angst vor dem Dunklen in uns selbst. Wir wollen das Dunkle
in uns verdrängen. Wenn wir den Gefangenen besuchen würden, dann
würde all das Verdrängte in uns hochkommen. Wir müssten uns damit
konfrontieren, dass wir selbst immer auch schuldig sind und schuldig werden
können. Diese ehrliche Selbstbegegnung ist unangenehm und schmerzlich.

Podersdorfer Wallfahrt 2016                              Seite 25
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