Page 20 - Leseproben
P. 20
2
2. Psychologische Modelle zur Entstehung berufsbezogener
Störungen
Einige hilfreiche Ansätze, die regelmäßig im Rahmen von
stationären Rehabilitationsbehandlungen umgesetzt werden,
lassen sich auf das allgemeine Adaptionssyndrom nach Hans
Selye (1971) und das Konzept zur Stressbewältigung nach
Lazarus (1966) zurückführen. Stress wird primär nicht nur
als pathogen eingeordnet, sondern in eine physiologisch an-
gelegte Reaktion des Organismus auf eine Belastung
eingebettet. Ob das Abrufen einer zu erbringenden Leistung
pathogen wirkt, hängt nicht nur von individuellen
Schwellenwerten, sondern auch von der persönlichen
Bewertung ab (Tab. 2).
Tabelle 2: Einflussvariablen bei psychosozialem Stress (in
Anlehnung an Lazarus)
Erlebtes Maß an Kontrolle für einen Betroffenen auf
seine Belastungen
Maß der Vorhersagbarkeit von Belastungen („saisonal“)
An welchem Punkt des Lebensplanes Stressereignisse
eintreten
Wie stark ein Betroffener seine Alltagsroutinen ändern
muss
In welchem Maß er durch die Situation verwundbar wird
In welchem Maß er soziale Unterstützung erfährt
Welche aktiven Möglichkeiten (Coping-Mechanismen) zur
Bewältigung mobilisiert werden
Reiz-Antwort-Reaktionen müssen nicht in ein prolongiertes
Erschöpfungsstadium münden und haben stets auch ein
vorgeschaltetes Widerstandsstadium. Die zahlreichen physio-
logischen Vorgänge im Widerstandsstadium (Muskelanspannung,
Hormonaufbau der Nebennierenrinde, Steigerung des
Zellstoffwechsels, u.a.) wirken aktivierend auf eine
mögliche und nötige Leistungserbringung. Sinnvolle Stress-
bewältigung kann nicht beabsichtigen, zur Leistungs-
bereitschaft erforderliche Bestandteile auszuschalten. Die
Angemessenheit der individuell zu erbringenden Leistung
sowie die dazugehörige Ergonomie sind Gegenstand der
psychotherapeutischen Behandlung. Letztere kann ihr Ziel in
der Herstellung von Kongruenz zwischen den individuellen
Fähigkeiten und Bedürfnissen des Psychosomatikpatienten und
des jeweiligen Arbeitskontextes sehen. In dieser
Feinabstimmung und der dafür zu erbringenden
Anpassungsleistung wird der eigentliche Therapieauftrag
gesehen. Eine einseitige Verordnung von Entspannungs- und
Genussfähigkeit käme einem ironischen Rat an einen Verun-
glückten gleich, zukünftig besser nur noch das Bremspedal
zu bedienen. Es ist gerade das Zusammenwirken von
Sympathikus und Parasympathikus (Leistungserbringung und
Erholung), welches einer Abstimmung bedarf. Nach Antonovsky
(Tabelle 3) erfolgt die Umsetzung durch Verbesserung
vorhandener Schutzfaktoren sowie Reduktion von
Risikofaktoren und Risikoverhalten.