Page 26 - ARTEMIS_Nr.9 (Weihnachten 2021)
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Ganzen Tag stand sie am Herd, und in jedes Keksstück buck sie ihre ganze
               Liebe mit ein.
                 „Aber Oma!“, hatte ihre Schwiegertochter am Telephon gesagt, „wir können
               die Weihnachtsbäckerei im Flugzeug doch nicht mitnehmen! Außerdem sind
               unsere Koffer ohnehin schon zu schwer. Heb sie auf, wir werden nach den
               Feiertagen vorbeikommen und sie abholen!“
                  Anna hatte genickt. Sie hatte genickt, so wie sie es jedesmal tat, wenn ihr Sohn
               oder die Schwiegertochter  zu kommen versprachen.
                  Natürlich wußte sie, daß sie wieder keine Zeit haben würden und sie wußte
               auch, daß sie ihnen wiederum verzeihen würde.
                  Mit dem Handrücken wischte sie eine Träne aus dem Auge. Es war wohl ein
               bißchen zu heiß in der Küche.
                  Am Weihnachtstag wünschte sie sich nichts mehr, als das es den Ihren gut
               gehen solle.
                  Der junge Sohn des Nachbarn hatte ihr den Weihnachtsbaum ins
               Christbaumkreuz gestellt. Wenn sie das getan hatte, so war er immer ganz schief
               gestanden. Nun aber stand er kerzengerade da.
                  Langsam behängte sie ihn mit dem altvertrauten Schmuck und dachte dabei an
               ihren Franz. Sie hatten den Baum immer gemeinsam aufgeputzt, obwohl, Anna
               lächelte leise in sich hinein, er dabei furchtbar unbeholfen gewesen war.
                  Bald schon, so hoffte sie, würde sie ihn wiedersehen. Mit ihrer Gesundheit
               stand es nicht zum Besten.
                  Es war keine Trauer in ihr. Sie hatte ein glückliches Leben gelebt. Nun gab es
               niemand, der sie brauchte und sie sehnte sich nach Ruhe.
                  Anna stellte ein Reindl mit etwas Wasser auf den Herd. Einen Apfel wollte sie
               braten. Sie liebte diesen Duft in der Weihnachtszeit. Wenn sie nicht zu müde
               war, so beschloß sie, würde sie um Mitternacht in die Christmette gehen.

                  Es war warm in der Stube. Den gebratenen Apfel hatte sie vom Herd
               genommen. Er duftete verführerisch!
               In einem Windlicht flackerte eine Kerze und strahlte ein romantisches Licht ins
               Zimmer.
                  In eine Decke gehüllt saß Anna und betrachtete ihren Baum.
               Da war ihr mit einem Male, als säße dort, gleich neben dem Tisch mit dem
               Festbaum, ihr Franz und lächelte ihr gütig zu.
                  Dann schlief sie ein.
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