Page 25 - ARTEMIS_Nr.9 (Weihnachten 2021)
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Peter Hazivar

               Annas Weihnachtsfest!


               Es ist wohl ein seltsames Ding, diese Liebe einer Mutter zu ihrem Kind.
                  Immer wieder stellt sie ihr eigenes Wohl zurück, sorgt sich nur darum, daß es
               dem Kinde, und sei es auch schon längst erwachsen, gut geht.
                 Wie Brotsamen verteilt dieses aber seine Gunst. Ein Anruf am Geburtstag, eine
               Ansichtskarte aus dem Urlaub; was will ein altes Herz mehr?
                 Sollte sich aber ihr Liebling zu einem kurzen Besuch anmelden, so plant die
               Mutter Tage vorher schon, welche von den Lieblingsspeisen ihres Sprößlings sie
               zubereiten wolle.
               Für jede kleine Nachricht ihres Sohnes war Anna dankbar. Seit dieser Leitender
               Angestellter in einem großen Betrieb geworden war, kamen er, seine Frau und
               die beiden Enkelkinder noch seltener nach Hause.
                 Immer noch sagte Anna: „Sie kommen nach Hause“, obwohl die Jungen nichts
               mehr an ihr Elternhaus band.
                 Die alte Frau sammelte Zeitungsberichte, in denen ihr Sohn erwähnt wurde,
               wie Heiligtümer. Stolz zeigte sie diese Freunden und Bekannten.
                 „Man muß verstehen, wenn er keine Zeit mehr hat, um nach Hause zu
               kommen“, sagte sie immer wieder. „Er ist ein wichtiger Mann“.
               Und so streicht sie mit gichtigen Fingern liebevoll über sein Photo und weint
               dabei ein bißchen, aber nur, wenn es niemand sieht.
               Nun kommt wieder das Weihnachtsfest. Früher, als ihr Mann noch lebte, hatten
               sie einander immer getröstet, wenn sie allein unter dem Festbaum saßen. Ihre
               Geschenke hatten sie liebevoll verpackt und zur Post gebracht.
               Wenn dann nach Tagen ein Anruf kam, der immer stereotyp denselben Wortlaut
               hatte: „Uns geht es gut, und Euch?“, dann freute sie sich und vermied es, zu
               erzählen, daß die Gesundheit lange schon nicht mehr die Beste sei und die
               Winternächte lang und einsam waren.
                 Franz, ihr Gatte, war nun schon vor einigen Jahren von ihr gegangen, aber
               immer noch fühlte sie seine Anwesenheit.
                  Gestern hatte ihr Sohn angerufen. Er plane, mit seiner Frau und den beiden
               Kindern über die Festtage auf die Malediven zu fliegen.
                  Das klang sehr exotisch.
                 Anna wußte zwar nicht, wo das war, aber sie hoffte, als das sich ihre Lieben
               dort wohlfühlen sollten.
                  Gab es dort auch Christbäume?
               Anna konnte sich Weihnachten ohne den geschmückten Baum nicht vorstellen.
                  Sie heizte den Backofen an. Vanillekipferl liebten ihr Sohn und auch die
               Enkelkinder über alles. Die Schwiegertochter achtete immer auf ihre Linie und
               vermied es, davon zu essen.
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