Page 185 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
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Die Entstehung der ersten Wortbedeutungen beim Kinde. 173
nehmimgen noch jene Vorgänge des Wieclererkennens allzu hoch vor-
stellen! Wahrscheinlich sind hierbei keine Vorstellungen von den
Personen tliätig; was wir nachweisen können, ist nur das Wieder-
erkennen der Bildnisse. Es können also durch den Anblick des
Bildes und durch den gesprochenen Lautcomplex Nachwirkungen der
Wahrnehmungen und der Gefühlserlebnisse ausgelöst worden sein,
ohne dass ein wirkliches Vorstellen oder eine selbständige Reproduction
der Erinnerungen an jene Personen stattfand. Eine associativ ver-
mittelte Anregung von Vorgängen des Wiedererkennens und eine
ebenso vermittelte Anregung von Gemüthserregungen samint den ent-
sprechenden Ausdrucksbewegungen (den motorischen und vasomoto-
rischen) und den aufsuchenden Bewegungen — das ist es, was wir
als »Sprachverständniss« aus diesen ersten Beobachtungen herauslesen
können.
Alle andern Beobachtungen aus der Zeit des ersten Sprachver-
ständnisses ergeben immer wieder die hier besprochenen Erscheinungen
und verrathen in keiner Weise die Betheihgung höherer psychischer
Vorgänge an der Auffassung der vom Kjnde verstandenen Worte.
Das gilt auch von der berühmten Beobachtung Sigismund's. Der
Vater zeigte dem noch nicht ein Jahr alten Kinde einen ausgestopften
Auerhahn und sprach dabei das Wort »Vogel«. Das Kind blickte
darauf nach einer auf dem Ofen stehenden Eule. Preyer, Lindner
und andere haben hier einen Beweis von Begriffsbildung oder zum
mindesten einen Beweis für die Abstraction von »Merkmalen« gesehen.
Andere Forscher sind vorsichtiger und finden darin nur ein Zeichen
dafür, dass das Kind schon die Aehnlichkeit der beiden Vögel heraus-
findet. Nach Preyer 's Meinung soll das Kind die Zugehörigkeit
beider Thiere zu der gleichen Art erkennen. Es subsumirt also
beide Gegenstände unter den allgemeineren Begriff, rielleicht sogar
unt^r den Begriff »Vogel«, weil der Vater dabei das Wort »Vogel«
Diese Deutung des Vorganges verlangt dann natürhch,
aussprach 1,.
dass auch alle diejenigen Processe in Thätigkeit sind, die wir als
Vorbedingung aller Begriffsbildung ansehen: Die Vergleichung der
beiden Vögel, die Analyse gewisser Merkmale, die Abstraction ge-
meinsamer Merkmale, ihre Zusammenfassung zu einem einheitlichen
1) Für Preyer scheinen »Vorstellungen < und »Begriff« dasselbe zu sein.