Page 119 - Geschichte des Kostüms
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Die Tracht   des Abbe    schließt  sich  in der Form der    gesellschaftlichen  an.
               Doch behält sie die unter der Herrschaft der Perücke aufgekommenen Bätichen und
               das petit-collet, das geistliche Mäntelchen,  bei.
                       Die Frauenkleidung bei großer Toilette vergrößerte eher noch den Reifrock,
               das Panier, das   die drei verschiedenen Röcke      trug.  Dafür war nun die Schleppe
               fortgefallen.  (Für die Sänfte und den Wagen mußten die Reifen Scharniere haben,
               um das Gestell von den Seiten      her zusammendrücken zu können, wobei           es dann
               weit nach oben bauschte).     Das fischbeingesteifte Mieder war sehr eng, sodaß es den
               natürlichen Brustkorb   total  verdarb, und   reichte mit vorderer gerader Spitze     lang
               herab; der Kontrast des schmalen Brustleibs der Figur zu dem bauschenden Unter-
               gestell war   aufs höchste  getrieben.   Die Dekoration der Röcke      folgte im Muster
               denen des   Stils Louis XV. überhaupt, indem zierliche Blumengirlanden und ähnliche
               ornamentale Linienführungen verwendet wurden.         Der obere Rock ward, wie schon
               früher, gern vorne geteilt, um den zweiten Rock in seiner Dekoration zu zeigen, soweit
               nicht jener selber dies übernahm.      Andererseits kam um      1760  die vorhangmäßige
               Raffung des oberen Rockes auf,      so daß der zweite Rock      ringsum  sichtbar wurde.
               Zugleich begann    anstatt und neben    der Dekoration durch das Muster eine solche
               durch mehr oder minder ausgiebige Falbalas (rüschenförmige Fältelstreifen) und Volants
                       Das Haar trugen die Damen um lySo sehr niedrig, von da ab steigt die Frisur
               wieder und    erweitert zunächst   die Lockenwellen,    bis unter Marie Antoinette    eine
               anders  geartete,  straff- und hochtürmende Mode beginnt.
                       Zu den Moden im      dritten  Viertel des Jahrhunderts gehörte auch     die durch
               englische Romane (Richardson u. a.) und durch die französische geistige Vorrevolution
               genährte Bewegung für das      ,, Bürgerliche'', deren Wert freilich  allzu sehr der einer
               neuen Tändelei    blieb.  Daher wird der Caraco oder       das Casaquin,    die Überjacke
               über dem Mieder mit den langen gebauschten Schößen, welche zuvor               die Dienst-
               mädchen und     geringeren Frauen getragen hatten,     gesellschaftsfähig  (Fig.  3), ähnlich
               die Schürze (Fig. 7) und ebenso das Häubchen.
                       Der  Sonnenschirm     war  früher   über  den   großen Damen      nach   ungefähr
               ostasiatischer Art von Pagen getragen worden.      Nach lySo ward er leichter gemacht
               und von den Damen selber wohl beim Spaziergang getragen; zusammenlegbar war
               er noch nicht und überhaupt noch nicht wie bei uns ein         ständiger Begleiter.  Dies
               war dagegen zu dieser Zeit der zusammenlegbare, gefältelte Fächer, der nunmehr das
               unerläßliche Zubehör bei großer Gesellschaftstoilette geworden war.
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