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           Immer noch Diesel im Blut              benötigte dazu noch ein Kissen (bitte nicht la-  Heute ziehe ich vor mir selber den Hut, dass
                                                  chen), damit ich die Fahrbahn, meine Armatu-  ich all das durchgestanden habe. Nach der Pensi-
           Zu DDR-Zeiten und noch in der Wendezeit, von   ren und alles andere, was wichtig war, über-  onierung 2001 beförderte ich Schulkinder und
           1979 bis 2000, war ich „Krawattentruckerin“ auf   schauen konnte. Es gab des Öfteren zum Wo-  Behinderte. Rückblickend bekam ich 2008 meine
           den Ikarus-Bussen im Überlandverkehr. Damals   chenende Sonderfahrten.       Chance, die 2011 endete. Eine auswärtige Spedi-
           hatte ich keine Chance, Lkw zu fahren, was ei-  Beispiel 1: Ich sollte eine Reisegruppe nach   tion vertraute mir einen Scania Sattelzug an. Es
           gentlich mein großer Traum war. Mit der Fahr-  Dresden bringen. Das Fahrzeug war motormäßig   ging zwar nicht nach Süden, aber immerhin
           erlaubnis der DDR Kl. V hätte ich die Möglich-  defekt, ein sogenannter „Ölfresser“. Im hinteren   Richtung „Ostblock“. Von Kiel nach Klaipėda.
           keit gehabt. Ich bin zwei Jahre auf einem Drei-  Teil hatte man eine 25 Liter Ölkanne abgestellt,   Mit dem Lkw auf ein großes Fährschiff! Wahn-
           seitenkipper einer Baufirma bei der DR (Deutsche   die bereits auf der Hinfahrt verbraucht war. Die   sinn!!! Diese Touren habe ich so genossen, ob-
           Reichsbahn) gefahren. Der „W 50“ war als 3,5 t   große Heckscheibe war bis ans Dach verölt; das   wohl sie mir alles abverlangten. Die Russen sag-
           aber nicht meine Welt.                 Öl kam aus dem Abgasrohr. Zwei Fahrgäste hal-  ten: „Babuschka“, die Deutschen Fahrer „Oma“.
              War aber ein guter Vorlauf für die kommen-  fen mir beim Ölwechsel auf der A 13, die damals   Aber ich stand über den Dingen, hätten die Jungs
           den 22 Jahre beim Kraftverkehr in Erkner und   nicht einmal einen Pannenstreifen hatte.   alle nur geahnt, was ich in mehr als 20 Jahren
           Strausberg. So zuckelte ich mit Fahrgästen über   Beispiel 2: Auf einer Linienfahrt riss das Gas-  überstanden habe. Und das ohne selbstverschul-
           Stock und Stein auf eigentlich unzumutbarem   seil beim Heckmotor. Da fasste auch ein Helfer   dete Unfälle. Die Kollegen vom BAG schien das
           Arbeitsgerät, sprich Omnibus. Zudem noch als   zu, setzte sich an die geöffnete Bodenplatte und   alles nicht zu stören. Wir hatten ein freundliches
           einzige Frau im sogenannten Männerkollektiv.   zog am Gasseil, wenn ich „Gas“ rief. Heute ist   Verhältnis, sie hatten nichts auszusetzen und
           Tapfer ertrug ich Hitze und Kälte, defekte Fah-  dies alles undenkbar. Das alles ging auf Kosten   wünschten stets freundlich „Gute Fahrt“.
           rersitze, meterlange, eiserne Schaltstangen und   der Pünktlichkeit und des Arbeitsschutzes, den   Diese Arbeitsstelle musste ich aufgeben, weil
           ständige Reifenpannen. Im Winter mit Wattean-  es ja auch gab, der aber in der Praxis keine Rolle   mir die „95“ im Führerschein fehlte. Ich habe
           zug und Filzstiefeln. Damals gab es noch lange,   spielte. Die Fahrgäste waren froh, dass der Bus   meine Fahrerkarte und der Führerschein gilt
           eisige und schneereiche Perioden. Das Gebläse   überhaupt fuhr. Ganz wenige hatten damals ei-  noch bis 12.07.2016. Die letzte medizinische Un-
           vorn war kaputt und die Heizung auch. Ersatz-  gene Pkw. Ich wartete 17 Jahre auf einen Trabbi,   tersuchung war im Jahre 2011. Ohne Module
           teile waren Mangelware. Unsere Kfz-Schlosser   den ich jedoch nicht mehr bekam, weil die Wen-  geht nichts mehr. Ich habe C1, C, D1, C1E, DE,
           waren wahre Künstler der Improvisation. Es gab   de 1989 alles veränderte. Wenn uns damals auf   BE. Bestimmt gibt es noch Kraftfahrer, die sich
           keinerlei Komfort, wie in den heutigen moder-  der Tour etwas zustieß, war das dramatisch. Kein   an die Fahrerei während der DDR-Zeit erinnern.
           nen Fahrzeugen. Zum Beispiel der Fahrersitz   oder nur wenige öffentliche Telefone. Handys   Privat fahre ich meinen VW T4, den ich unend-
           bestand aus einer einfachen Plastikschale mit   gab‘s noch lange keine und CB-Funk nur im Lkw.   lich liebe. Da ich seit X-Jahren ein TRUCKER-
           schmaler Rückenlehne. Die Federn waren meist   Man musste selber dafür sorgen, dass man aus   Abo habe, verfolge ich die rasante Entwicklung
           gebrochen. Ein Holzkeil stützte das Ganze ab   den Wäldern kam.              der Lkw-Technik sowie die hohen Ansprüche an
           und bewahrte den Fahrer vor dem Absturz. Man   Bis 2000 bekamen wir abgelegte Busse aus    die heutige Fahrergeneration. Mich fasziniert
           hockte wie auf einem fahrbaren Sägeblock. Ich   Westdeutschland, so dass die Ikarusse ver-  das alles umfassende Wissen der Lkw-Fahrer. Ich
                                                  schwanden. Die kauften reihenweise die Russen.   habe damals auch eine Berufskraftfahrerausbil-
                                                                                        dung absolviert. Das war gar nichts gegen die
                                                                                        heutige Ausbildung. Mitunter verfluche ich mei-
                                                                                        ne 80 Jahre und bin totunglücklich, weil ich da
                                                                                        nicht mehr mitmischen kann.

                                                                                                                 Anne Wilhelmy
                                                                                                               15566 Schöneiche
























                   Im Mai-Heft 2008 berichtete
                der TRUCKER erstmals über das
                Fahrerleben der Anne Wilhelmy
                                                                                                                               A. Wilhelmy


                                                                                                                              ©

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