Page 22 - 10000 BUCH-Arien-Lieder-Gedichte-Geschichten-Gesamtwerk-000
P. 22

F r i e d r i c h                            S c h i l l e r :
                                              Es schwinden jedes                           Kummers Falten, /
                                                so lang des Liedes                          Zauber walten.






        Er  brachte  das  Klavier  mit  unendlicher  Geschmeidigkeit  zum  Singen  und  spielte
        Musik,  die  nicht  nur  berauschte,  sondern  auch  berührte.  Heinrich  Heine,  der  ihn
        hörte, brachte die Faszination, die von dieser Kunst ausging, auf den Punkt: „Er ist
        nicht bloß Virtuose, er ist auch Poet, er kann uns die Poesie, die in seiner Seele lebt,
        zur Anschauung bringen, er ist Tondichter, und nichts gleicht dem Genuss, den er uns
        verschafft,  wenn  er  am  Klavier  sitzt  und  improvisiert.“  Auch  andere  große  Geister
        waren hingerissen.

         Und  selbst  die  gefeierte  Schriftstellerin  George  Sand,  der  skandalumwitterte
        Mittelpunkt des Pariser Kulturlebens, konnte nicht widerstehen und warf ihre Netze
        nach dem scheuen Jüngling aus. Sand war höchstwahrscheinlich die einzige Frau, mit

        der  Chopin  zeitlebens  eine  mehr  oder  weniger  intime  Bindung  einging.  Fast  neun
        Jahre  lebte  er  mit  ihr  zusammen.  Und  das,  obwohl  die  selbstbewusste,  oft  in
        Männerkleidung  gewandete  Autorin  den  Komponisten  zunächst  irritierte,  ja  sogar
        abstieß.

        Er war in einem halb bürgerlich-bodenständigen, halb aristokratischen Milieu groß
        geworden.  Geboren  wahrscheinlich  am  1.  März  1810  (sein  Taufschein  weist  –
        fälschlicherweise, wie Experten glauben – den 22. Februar aus) in Zelazowa-Wola bei
        Warschau, wuchs Chopin neben drei Schwestern unter der liebevollen, aber strengen
        Obhut seines umsichtig-rationalen Vaters Nicholas, eines Gymnasiallehrers, und der
        gütigen  Mutter Justyna, einer  Tochter  aus  verarmtem  Kleinadel, auf.  Obgleich  sich
        das außerordentliche Talent des Knaben früh offenbarte, steuerten die Eltern bewusst
        gegen eine Wunderkindkarriere an. Musiker durfte Frédéric zwar werden – aber kein
        brotloser Künstlertyp.

        Als  Chopin  in  den  frühen  Morgenstunden  des  17.  Oktober  1849  im  Kreis  seiner
        engsten Vertrauten stirbt, hinterlässt er der Nachwelt rund 150 Werke. Kaum eines
        davon länger als ein paar Minuten, kaum eines nicht für Klavier. Eine Bilanz, die sich

        – gemessen an manch anderem großen Tonsetzer – ziemlich einseitig und beinahe
        mager  ausnimmt.  Dennoch  nimmt  Chopin  durch  die  seltene  Gabe,  jede  noch  so
        winzige  seelische  Regung  wahrhaftig  und  mit  seismografischer  Genauigkeit  in  fast
        überirdisch schöne Musik zu übersetzen, eine Loge im Oberhaus der Musikgeschichte
        ein – und, was mindestens genauso viel wiegt: einen festen Platz in den Herzen von
        Abermillionen Klavierschülern, Konzertpianisten und Kunstbesessenen in aller Welt.




                                                      Wilhelm  Gelhaus

                                           Orchideenstraße 7  ~  49661 Cloppenburg

                                                                                                                  21
   17   18   19   20   21   22   23   24   25   26   27