Page 7 - Die Seuche
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4. Aufbrauender Sturm
Die steinerne Fassade war beschmiert, hastige Handschrift darauf, die Farbe noch nicht
ganz getrocknet. “Die Mauern schützen nicht uns, die schützen sie. Wir werden krank und
sie fressen zu ihrem Heilmittel Weintrauben in Blattgold.” Der kahle Mann fuhr mit dem
Finger über die Zeilen, wobei die Umrisse verschmierten. Schnaubend bückte er sich
und hob einen handgroßen Stein auf, welcher sich schön schwer anfühlte.
Klirrend zerbarst die Scheibe des Gemüsehändlers, der Ziegelstein verfehlte knapp den
Brustkorb des Rytarers, der nun mit geweiteten Augen die Treppen nach oben huschte.
Seine Frau wurde kreischend von den Männern aus dem Haus gezogen, während sich
andere an ihnen vorbei in das warme innere drängten. “Schnell, erteilen wir dem Abschaum
eine Lektion und hauen ab!”, gab der mit dem prallen Bierbauch Befehle. “Ich hab nichts
getan, was wollt ihr von mir”, gab die panische Rytarerin von sich. Die Männer schliffen sie
hinter sich her und stießen sie auf den Boden, Glasscherben bohrten sich durch ihre dünne
Kleidung. “Wir sind nicht krank, wir sind nicht krank!”, schrie die Frau und hob ihre blutenden
Hände abwehrend in die Höhe. Höhnisch lachend wickelte einer mit Pockennarben ihr ein
verfilztes Tau um den Hals, band das andere Ende an einen Zaun, als wäre sie ein Hund.
Schmerzensschreie und polternde Geräusche drangen aus dem Geschäft, ihr Mann wurde
strampelnd heraus gezerrt. Beinah hätte sie ihn nicht wieder erkannt, die Augen
geschwollen, die Lippen gesprungen und blutig, die Gesichtsfarbe hatte rot und blau
abwechselnd angenommen. “Liebling? Sag doch was!”, flehte die Rytarerin. Stöhnend
wurde er zu ihr in den Dreck geworfen. “Haut lieber ab, euch und eure Krankheiten will hier
keiner! Beim nächsten Mal sind wir nicht so freundlich!”, spieh ihnen der mit dem dicken
Wanst entgegen. Ohne auf eine Antwort zu warten wandte sich die Gruppe ab und ließ sie
verängstigt zurück. Ächzend rappelte sich der Schwarzhaarige auf und löste ihre Fesseln.
Nach und nach versammelte sich eine Traube an Leuten mit bemitleidenden Blicken um das
am Boden kauernde Paar. “Hauptsache die Kurfürstin sitzt in ihrem Marmorpalast und trinkt
Wein, während wir hier krepieren!”, rief eine erzürnte Frau, die Arme über der fülligen
Oberweite verschränkt. Ein buckliger alter Rytarer nickte, während er der Verletzten auf die
Beine half, mit rauher Stimme erwiderte er: “Meine Tochter hats noch viel schlimmer
erwischt. Diese furchtbaren Leute ham ihre eitrigen Wunden gesehen, ham sie einfach
nieder geknüppelt. Hab sie angefleht, sie in das Lazarett bringen zu dürfen.”, seine Stimme
wurde brüchig. “Tiere werden notgeschlachtet, ham se geantwortet.”