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Prolog
            Bis zu meinem 18. Lebensjahr waren meine Eltern für mich verantwortlich. Danach sorgte ich
            selbst für mich. Mit 29 Jahren wurden meine Frau und ich Eltern und innerhalb der nächsten 10
            Jahre bekamen wir vier Kinder. Dann lernte ich Doreen kennen, die zwei Kinder hatte und wir
            mussten nun für sechs Kinder sorgen.


            Das ist nicht nur eine erzieherisch schwere Aufgabe, man muss auch sehr viel Geld verdienen, um
            den Bedürfnissen der lieben Kleinen gerecht zu werden. Laut eines Berichts der Frankfurter
            Allgemeinen Zeitung kostet ein Kind bis es sein Leben selbst finanzieren kann 230 000 Euro. Bei
            sechs Kindern sind das 1,38 Millionen Euro, die wir aufbringen mussten, um unseren Kindern all
            das geben zu können, was sie für ihre Entwicklung brauchten.

            Wenn man allerdings den Spaß abwägt, den es macht, Kinder aufwachsen zu sehen, täglich mit
            ihnen zusammen sein zu dürfen und man tagtäglich die Lebensfreude in ihren Augen sieht, ist der
            Preis, den man dafür bezahlt, auf keinen Fall zu hoch.

            Bei so einer Kinderschar nimmt die Jagd nach dem Geld eine tragende Rolle im Leben ein und hat
            mich einige Dinge tun lassen, die ich ohne Kinder womöglich nicht getan hätte.

            Im Nachhinein muss ich aber sagen, dass ich nichts bereue, denn aus allen sechs Kindern sind
            Menschen geworden, die mit beiden Füßen fest im Leben stehen und auf die ich sehr stolz bin.

            1957 Das Unrecht
            Die erste Erinnerung, die ich an meine Kindheit habe, ist wie mein Bruder und ich nachts
            aufgewacht sind und unsere Eltern nicht da waren. Wir gingen zum Fenster im ersten Stock des
            Lehrerhauses, in dem wir damals wohnten, und weinten fürchterlich vor Angst.

            Zu der Zeit wohnten wir in Ramstein. Meine Eltern waren beide Lehrer und unterrichteten an zwei
            Grundschulen im Ort. Wir wohnten in einem riesigen Haus auf dem Schulhügel, das für die
            ansässigen Lehrer zur Verfügung stand. Es hatte zwei Stockwerke und wir lebten im Sommer oben,
            im Winter unten. Warum wir zweimal im Jahr umgezogen sind, ist mir bis heute nicht klar
            geworden.


            Wir hatten einen kleinen Garten mit einer etwa ein Meter hohen Mauer drumherum. Dort spielten
            wir oft mit den Nachbarskindern und kletterten natürlich auf die Mauer. Ich kann mich noch gut
            daran erinnern, dass mein Bruder und die anderen Kinder immer heruntergesprungen sind. Ich
            dagegen hatte damals schon mit meiner Höhenangst zu kämpfen und traute mich nicht zu springen.
            Im Gegensatz zu den anderen kletterte ich immer ganz vorsichtig herunter und war stets froh,
            wieder festen Boden unter den Füssen zu haben.


            An das erste Unrecht, das mir zuteilwurde, kann ich mich lebhaft erinnern. Sigmar, ein
            Nachbarsjunge war ein arroganter Schnösel, den ich auf den Tod nicht leiden konnte. Im Garten gab
            es eine Ecke, die wir zum Spielen benutzen durften. Mein Vater hatte kurz zuvor Kartoffeln
            gepflanzt, eine Hacke lehnte noch an der Mauer. Einer der Nachbarsjungen kam auf die Idee, eine
            Grube zu graben, wofür weiß ich heute allerdings nicht mehr. Umso mehr ist mir das danach
            Geschehene im Gedächtnis geblieben:
            Nach und nach durfte jeder mit der Hacke an der Grube arbeiten. Als ich an der Reihe war, wollte
            ich meinen Freunden zeigen, wie tief ich die Hacke in den Boden hauen konnte. Ich holte weit aus
            und hörte hinter mir einen Schrei. Meine Ausholbewegung hatte ausgerechnet den Jungen getroffen,
            den ich nicht leiden konnte. Er lag am Boden und blutete heftig aus einer Kopfwunde. Durch die
            Schreie alarmiert liefen einige Nachbarn herbei und brachten ihn zu unserem Hausarzt, wo die
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