Page 6 - Michaels_Buch Februar_neu
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das man direkt auf den anliegenden Waschraum klettern konnte. Es war immer die schönste Zeit des
Tages, wenn wir eingekuschelt in unsere Decken im Bett lagen und uns die Abenteuer der zwei
kleinen Bären anhörten.
Es gab ein Hühnerhaus, das ganz oben auf einem Hügel am Rand des Grundstückes stand. Die
Hühner wurden mit Körnerfutter zweimal am Tag gefüttert. Das war jedes Mal ein Höhepunkt für
uns. Zur Fütterungszeit rief Großmutter „Komm Bibi Bibi Bibi“ und das Federvieh kam aus allen
Richtungen angerannt. Wir durften ihnen dann die Körner hinwerfen, die sie in kürzester Zeit
aufgepickt hatten. Dann gingen sie nach und nach wieder auf die angrenzende Wiese und machten
sich über Käfer und Würmer her. Am schönsten war es, wenn sie Küken hatten. Die waren in einem
kleinen Käfig ohne Boden, den man an verschiedene Plätze stellen konnte. Wir holten uns ständig
welche heraus und schmusten ausgiebig mit den flauschigen Wesen.
Wir bastelten uns Pfeil und Bogen und gingen damit „auf die Jagd“. Wir versuchten mit allen
Mitteln mal ein älteres Huhn zu treffen, doch ohne Erfolg. Die Hühner waren einfach zu schnell.
Eine weitere Attraktion war das Plumpsklo. Das lag direkt dem Haus gegenüber und es gab dort
nicht einmal Klopapier. Es lagen die Zeitungen der Vortage neben der Schüssel und man musste
sich damit den Hintern abputzen.
Jeden Samstag war Badetag. Im Waschraum stand ein riesiger Wasserbehälter, der über einem Ofen
befestigt war. Dort wurde ein Feuer entfacht und damit das Wasser erhitzt. Wenn es die richtige
Temperatur hatte, wurde es in die Badewanne eingelassen und wir plantschen darin so lange, bis
Großmutter uns einseifte und ordentlich abschrubbte.
Eine lustige Begegnung konnten wir beim Nachbarhof beobachten. Dort gab es einen Schäferhund,
der das Anwesen bewachte. Über den ganzen Hof war in drei Meter Höhe ein Seil gespannt, an das
die Nachbarn eine Kette befestigt hatten. Diese war recht lang und Rex, so hieß der Hund, konnte
sich auf dem ganzen Grundstück bewegen. Die Kette reichte bis zu einer gewissen Grenze, die er
nicht übertreten konnte. Unsere Katze Minnie machte sich nun einen Spaß daraus, den Hund zu
ärgern. Sie hatte herausbekommen, bis wohin er kommen konnte und ging diese Grenze mit
hocherhobenem Schwanz auf und ab. Der Hund folgte ihr, mit heftigem Gebell und es sah so aus,
als ob ihn die Katze verhöhnen würde. Dieses Ritual fand jeden Tag zur gleichen Zeit statt und wir
waren davon begeistert.
Ein unangenehmes Erlebnis hatte einschneidende Folgen für mich. Einmal im Jahr gab es ein
Hoffest. Aus diesem Anlass wurde ein Schwein geschlachtet. Dazu waren Freunde meiner
Großeltern eingeladen, die sich die deftigen Würste schmecken ließen. Besonders beliebt war frisch
hergestellte Blutwurst, die noch warm war. Sie wurde mir so angepriesen, dass ich davon gegessen
habe. Sie schmeckte mir auch richtig gut und ich habe tüchtig zu gelangt. Etwa eine Stunde später
ist mir schlecht geworden und ich habe alles wieder erbrochen. Mir ging es hundsmiserabel und seit
dieser Zeit wird mir schon beim Anblick von Blutwurst übel.
Gegenüber der Küche gab es die Gute Stube. Die war immer abgeschlossen und wurde nur für
wichtige Ereignisse geöffnet. Wir haben jahrelang gerätselt, wie es wohl darin aussehen würde und
uns alles Mögliche ausgemalt. Wir stellten uns vor, dass Piratenschätze gehortet wurden und hörten
unsere Eltern etwas von Kelchen und Geschmeide sagen. Irgendwann kam dann der große Tag und
wir schlichen um die Tür herum. Das Herz schlug mir bis zum Hals und ich malte mir aus, dass wir
nun gleich von goldenen Tellern essen würden. Und dann gab es nur alte Holzschemel und einen
Esstisch und wir waren total enttäuscht.
Ganz anders war das mit dem Dachboden, der bei uns Speicher genannt wurde. Über dem ersten
Stock, wo sich unser Schlafzimmer befand, ging eine Treppe hinauf. Uns war natürlich verboten