Page 10 - Michaels_Buch Februar_neu
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gegessen.


            Was das Essen anbelangt, gab es strenge Sitten. Es musste immer alles aufgegessen werden, egal ob
            es einem schmeckte oder nicht. Ich konnte z.B. Sellerie überhaupt nicht leiden. Schon allein der
            Geruch erzeugte bei mir Brechreiz. Leider gab es keine Tagessuppe ohne Selleriebeigabe und
            dementsprechend schwer fiel es mir, Suppe zu essen. Wenn ich dann einen Würgereiz bekam, gab
            es direkt eine Ohrfeige. Das hat letztendlich dazu geführt, dass ich eine Technik entwickelte, wie
            ich Gerichte essen konnte, die mir überhaupt nicht schmecken, ohne dass es mir jemand ansah. Das
            kam mir viele Jahre später in China zugute.

            Da meine Eltern in zwei verschiedenen Grundschulen von Montag bis Samstag unterrichteten, war
            das Zubereiten des Mittagessens natürlich nur eingeschränkt möglich. Mama hatte einfach zu wenig
            Zeit und deshalb gab es eine Zeitlang nur aufgewärmtes Dosenessen. Bis heute liebe ich Eierravioli,
            denn die standen einmal pro Woche auf dem Speiseplan. Irgendwann dann wurde meinen Eltern
            klar, dass das nicht gesund für die Kinder sein würde und deshalb gingen wir mittags in ein
            Restaurant mit deutscher Küche. Dort gab es ausgewogenes Essen pünktlich auf den Tisch. Ich
            erinnere mich besonders an die Tage, als es Hähnchen gab. Ich nagte meine Knochen ab, bis sie
            blank waren und wurde deshalb von Papa gelobt und als Vorbild für meinen Bruder hingestellt. Da
            mein Vater nicht der Typ war, der seine Kinder ständig lobte, ist mir das in Erinnerung geblieben.
            Noch heute achte ich beim Hähnchen essen darauf, dass alle Knochen richtig abgenagt sind.

            Nach einigen Monaten in dem deutschen Restaurant haben wir das Lokal gewechselt. Jetzt gab es in
            einem italienischen Restaurant für Mama Pizza und für Papa Schnitzel mit Bratkartoffeln. Mein
            Bruder und ich wollten keine Pizza, weil uns der zerlaufene Käse nicht richtig geheuer war. Wir
            waren ganz versessen auf Nudeln in den unterschiedlichsten Variationen.
            Im ersten Jahr im neuen Haus vermieteten meine Eltern den ersten Stock an Untermieter. Unsere
            Mieter waren Amerikaner, wie die Hälfte aller Bewohner des Heiligenwoogs. Da die
            amerikanischen Soldaten ihre Familien mitbrachten, hatten wir etliche Spielkameraden, die nur
            englisch sprachen. So haben Franz und ich schon ganz früh eine zweite Sprache gelernt, was uns
            später im Gymnasium zugute gekommen ist.

            Meine beiden Schwestern gingen noch nicht zur Schule und wurden, so wie Franz früher, am
            Sonntagabend zu meinen Großeltern gebracht und am Samstagnachmittag wieder abgeholt. Sie
            wurden allerdings nicht nach Nussbach, sondern nach Katzweiler zu Oma und Opa gefahren. Das
            waren die Eltern von Mama, beide pensionierte Lehrer.

            Im Keller unseres Hauses hatten meine Eltern einen Partyraum eingerichtet. Dort trafen sich am
            Wochenende immer wieder ihre Freunde und feierten, wenn wir im Bett lagen, feucht fröhliche
            Partys. Sonntagmorgen, wenn die Erwachsenen noch schliefen, gingen wir in den Partykeller und
            suchten nach leckeren Überbleibseln des Abends. Es war uns strikt verboten Coca-Cola zu trinken,
            aber das hielt uns natürlich nicht davon abhielt, die Reste zu trinken. Nachmittags waren immer mal
            wieder Barbecue-Grillparties, bei denen in erster Linie Amerikaner dabei waren. Auf dem Grill
            lagen Spareribs und T-Bone Steaks, die uns immer etwas zu scharf gewürzt waren, aber trotzdem
            umso besser schmeckten.

            Mein Vater war ein absoluter USA-Fan. Wir wurden jeden Morgen mit der amerikanischen
            Nationalhymne geweckt und an der Wand im Flur hing ein großes Portrait von John F. Kennedy.
            Am 22.11. kam Papa völlig aufgelöst zu uns und erzählte, dass der amerikanische Präsident
            ermordet worden sei. Wir waren ganz bestürzt, aber eher über die Reaktion unseres Vaters, denn in
            einem solchen Zustand hatten wir ihn noch nie gesehen. Er schloss sich in seinem Büro ein und kam
            den ganzen Tag nicht mehr heraus. Auch zum Abendessen erschien er nicht. Wir sahen ihn erst am
            nächsten Tag wieder. Von diesem Tag an wurden wir nicht mehr mit der amerikanischen
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