Page 8 - Michaels_Buch Februar_neu
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1961 Der Granatsplitter
Im Juli bekam ich plötzlich furchtbare Bauchschmerzen. Mama brachte mich sofort zum Arzt und
der überwies mich ins Krankenhaus. Der Blinddarm musste raus. Mir ging es so schlecht, dass mir
alles egal war. Ich bekam sofort eine Spritze und dann war ich weg. Als ich wieder aufwachte, lag
ich im Zimmer mit einem älteren Herrn zusammen und war ganz benommen. Erst am nächsten Tag
ging es mir körperlich wieder besser, dafür hatte ich fürchterliches Heimweh. Mama und Papa
besuchten mich zwar täglich, aber sie durften nur eine Stunde bleiben und die Abschiede waren sehr
tränenreich.
Nach acht Tagen, als ich schon der bevorstehenden Entlassung entgegen fieberte, kam der nächste
Schock: Die Wunde hatte sich entzündet und ich musste ein weiteres Mal operiert werden. Das
haben die Ärzte dann wohl mit stumpfen Instrumenten gemacht, denn bis heute habe ich eine so
riesige Narbe, als hätte mich ein Granatsplitter im Krieg getroffen.
Endlich durfte ich nach Hause und wurde dort von Mama mit meinem Lieblingsgericht überrascht.
Es gab Spiegelei mit Kartoffelpüree und Spinat.
1962 Der fiese Fred
Als Lehrerkind hat man natürlich auch missgünstige Mitschüler. Ein ganz fieser Typ war Fred. Er
war ein Klasse über mir, ein kräftiger Kerl und für sein Alter recht groß. Ich ging meistens eine
kleine Abkürzung durch ein unbebautes Stück Moor nach Hause. Fred lauerte mir dann manchmal
auf und beschimpfte mich auf das Übelste. Er warf mich in einen kleinen Bach und lachte sich
scheckig vor Vergnügen. Dann drohte er mir weitere Prügel an, wenn ich es meinen Eltern erzählen
würde. Ich musste mir zu Hause alle möglichen Ausreden einfallen lassen, um zu erklären, warum
ich so schmutzig war. Das ging ein halbes Jahr so, bis zufällig ein Bekannter vorbeikam, der die
Szene beobachtet hatte. Er drohte Fred, alles seinem Vater zu erzählen, wenn er mir noch einmal
auflauern würde. Jetzt ließ mich dieser Stinkstiefel endlich in Ruhe.
In der vierten Klasse bekam ich Herrn Specht als Lehrer. Er war ein despotischer Pädagoge, der
immer einen Stock dabei hatte und den auch häufig einsetzte. Bei der kleinsten Verfehlung
verprügelte er seine Schüler und schien daran recht viel Spaß zu haben. Da ich der Sohn eines
Kollegen war, hatte ich das Glück von solchen Attacken verschont zu bleiben.
Wenn ich heute an meine Grundschulzeit zurück denke und sie mit der Schulzeit meiner Kinder
vergleiche, fällt mir ein großer Unterschied auf. Wir waren dreißig Kinder und nur einer davon hatte
Übergewicht. Er wurde der dicke Eugen genannt, was ihm aber nichts auszumachen schien. In der
Schule meiner Kinder dagegen gab es eine ganze Reihe an Schülern, denen eine Diät gut getan
hätte.
Ich komme aus einer Gegend, die hauptsächlich katholisch ist. Wir hatten in unserer Klasse nur
einen Jungen, der evangelisch war. Den haben wir alle beneidet, denn er hatte bei evangelischen
Feiertagen frei, an denen wir zur Schule gehen mussten. Dazu durfte er auch bei den katholischen
Feiertagen zu Hause bleiben, weil da die ganze Schule geschlossen war.
Als ich acht Jahre alt war, durfte ich endlich Messdiener werden. Bei uns war es Pflicht, jeden
Sonntag in die Kirche zu gehen. Dort saß ich neben meinen Eltern und wenn „Großer Gott, wir
loben Dich“ von der mächtigen Orgel gespielt wurde, lief mir regelmäßig ein Schauer über den
Rücken. Ich war als Kind sehr gläubig und wollte unbedingt als Messdiener vorm Altar stehen. Das
ging aber erst, wenn man ein bestimmtes Alter erreicht hatte.
Endlich war es soweit. Ich zog zum ersten Mal in der Sakristei meinen roten Umhang an und war
selig. Unser Pfarrer war ein gütiger Mann und half mir über mein Lampenfieber hinweg. Ein