Page 9 - Michaels_Buch Februar_neu
P. 9
Höhepunkt im Jahr war die Fronleichnamsprozession. Im ganzen Dorf waren die Bürgersteige über
und über mit Blüten liebevoll geschmückt und der Pfarrer und die Messdiener führten die
Prozession an. Beim Einmarsch in die Kirche spielte die Orgel „Großer Gott, wir loben Dich“ und
ich war in Hochstimmung.
Bei uns gab es den Brauch, dass vor Ostern die Glocken der Kirche nicht mehr läuten durften. Diese
Aufgabe übernahmen die Messdiener als „Klepperbuben“. Wir hatten so eine Art Ratschen mit einer
Kurbel, mit der wir eine Menge Krach machen konnten. Der ganze Ort war in mehrere Bereiche
aufgeteilt. In jedem Bereich war eine andere Gruppe von Messdienern immer dann unterwegs,
wenn normalerweise die Glocken zum Kirchenbesuch läuteten. Wir ratschten eine Weile und dann
sangen wir kleine Verse. Ich kann mich nur an einen erinnern „Es leit fer in die Kerch“ das ist
pfälzisch und heißt „Wir läuten für den Kirchgang“. Am Ostermontag gingen wir mit einem riesigen
Korb in unserem Gebiet von Haus zu Haus und bekamen Ostereier, Süßigkeiten und manchmal
auch Geld. Das teilten wir im Anschluss untereinander auf.
Als ich in der vierten Klasse war und früher Schulschluss hatte, bin ich zu meinem Vater in die
Klasse gegangen und hab in der letzten Reihe zugehört, wie er die Erstklässler unterrichtete. Mir
kam da eine Idee. Auf dem Heimweg fragte ich ihn, ob ich nicht auch einmal eine Stunde Unterricht
erteilen könnte. Mein Vater fand die Idee gut und meinte, dass ich mich aber gründlich auf diese
Arbeit vorbereiten müsse. Mit Feuereifer ging ich ans Werk und stellte Papa meine
Unterrichtsvorbereitung vor. Er hatte noch ein paar Verbesserungen und dann war es endlich soweit.
Ich stand aufgeregt vor der Klasse und begann mit dem Unterricht. Mein Vater saß in der letzten
Reihe und schaute voller Stolz meinem Treiben zu. Danach schenkte er mir als Anerkennung
meiner Leistung eine Tafel Schokolade. Ich weiß zwar nicht mehr, welches Thema mein Unterricht
hatte, aber an das stolze Gefühl danach und die leckere Schokolade kann ich mich noch ganz genau
erinnern.
1963 Schüsse auf den Schrank
Anfang des Jahres haben meine Eltern ein eigenes Haus auf einem großen Grundstück gebaut. Wir
sind aus der Lehrerwohnung Am Schulhügel in den Heiligenwoog 16 umgezogen. Es war ein
zweistöckiges Gebäude und meine Eltern begannen sofort den Garten anzulegen. Er war
zweigeteilt, denn ein kleiner Bach führte mitten durch das Grundstück. Es wurde eine große
Rasenfläche angelegt und zudem ein Spargel und ein Erdbeerfeld. Mittlerweile waren wir zu sechst,
denn ich hatte noch zwei Schwestern, Bärbel und Annegret, bekommen.
Da ich der Älteste war, kamen nun neue Aufgaben auf mich zu. Ich war fürs Rasenmähen zuständig
und musste im Sommer helfen, Erdbeeren zu pflücken und Spargeln zu stechen. Besonders das
Rasenmähen war ein enormer Arbeitsaufwand. Früher wuchs der Rasen so schnell, dass ich dreimal
pro Woche mähen musste. Heute ist der Rasen soweit gezüchtet worden, dass einmal pro Woche
reicht, aber früher waren das drei Mal anderthalb Stunden Arbeit. Wir hatten dazu noch einen
elektrischen Mäher mit einem ellenlangen Kabel, das natürlich ständig im Weg lag. Ganz blöd war
der Graben zum Bach runter, da musste man höllisch aufpassen, dass man nicht ausrutschte. Aber
damit nicht genug, unsere recht große Einfahrt zur Garage musste jeden Samstag gefegt werden und
gerade wenn es etwas windig war, flog das Zusammengefegte wieder auseinander und ich bekam so
manchen Wutanfall.
Durch das große Erdbeerfeld hatten wir Erdbeeren im Überfluss und meine Mutter fror sie in
unserer Kühltruhe ein. Täglich holte sie welche raus und mixte die gefrorenen Erdbeeren zusammen
mit Zucker und Milch zu einer leckeren Erdbeermilch. Wir Kinder konnten davon nie genug
bekommen. Bis heute habe ich nicht mehr so ein leckeres Getränk getrunken. Ich weiß nicht, ob das
eine Glorifizierung der Jugendzeit ist oder ob der Geschmack der Erdbeeren früher intensiver war.
Nur die Spargeln kamen bei uns Kindern überhaupt nicht an und wurden nur von Mama und Papa