Page 11 - Michaels_Buch Februar_neu
P. 11
Nationalhymne geweckt.
Mein Vater war außerdem ein Waffenfan. Obwohl er keinen Waffenschein hatte, besaß er doch eine
ganze Menge Pistolen und Gewehre. Als ich etwa zehn Jahre alt war, brachte er uns das Schießen
bei. In einem Kellerraum stand ein alter Kleiderschrank. An dessen Tür brachte Papa eine
Schießscheibe an und zeigte uns, wie man mit einer 08 zu schießt. Zuerst hatte ich etwas Angst mit
der großen Pistole zu schießen. Sie lag schwer in der Hand und der Rückstoß war heftig. Doch mit
jedem Schuss kam ich besser zurecht. Franz schaute mich bewundernd an und traute sich dann auch
zu schießen. Wir schossen natürlich oft daneben und der Schrank war mit Einschusslöchern übersät.
Papa sagte, das sei kein Problem, weil der Schrank ja leer sei. Allerdings wusste er nicht, dass
Mama vor Kurzem alle Winterschuhe dort verstaut hatte. Als Mama nach Hause kam und in den
Keller ging, um dort Kartoffeln zu holen, entdeckte sie die Bescherung und der Haussegen hing
einige Tage schief.
Neben Weihnachten und den Geburtstagen war Silvester ein weiterer Höhepunkt im Jahr. Wir
mussten zwar um 7 Uhr ins Bett, wurden aber um 23.30 Uhr wieder geweckt. Alles roch wunderbar
nach Glühwein und Plätzchen. Es gab Weinsoße mit Berlinern und wir durften sogar ein paar
Schlucke probieren. Pünktlich um 24 Uhr ging dann das Geknalle los. Wir hatten zwar keine
Kracher oder Raketen, aber einen Schweizer Karabiner und ein Kleinkalibergewehr. Franz und ich
schossen abwechselnd mit dem Kleinkalibergewehr, während mein Vater mit dem schweren
Schweizer Karabiner herumballerte. Ich jammerte so lange, bis er sich breit schlagen und mich
einmal mit dem schweren Gewehr schießen lies. Das ging nur, weil Mama kurz raus gegangen war,
denn sie hätte das niemals erlaubt. Das wäre auch besser gewesen, denn der Rückstoß nach dem
Schuss hat mich so stark getroffen, dass ich nach hinten in die Weinsoße gefallen bin, die sich
darauf über mich und den ganzen Teppichboden ergossen hat. Gottseidank war sie nur noch
lauwarm, aber der Teppich war ruiniert. Als Mama wieder rein kam war das Geschrei groß und die
Silvesterparty für dieses Jahr beendet.
1964 Die Todesbahn
Eines Morgens wachte ich mit schrecklichen Halsschmerzen auf. Mama ging mit mir sofort zu
Doktor Zydek, der eine akute Mandelentzündung feststellte. Er überwies mich ins Krankenhaus, wo
mir am nächsten Tag die Mandeln entfernt wurden. Ich hatte wieder Heimweh, aber bei weitem
nicht mehr so schlimm, wie bei der Blinddarmoperation. Und dann hatte der Krankenhausaufenthalt
sogar noch einen angenehmen Nebeneffekt, denn ich durfte so viel Eis essen, wie ich wollte.
Warum das bei der Heilung helfen sollte, hat sich mir bis heute nicht erschlossen.
Ab Ostern ging ich nach Landstuhl aufs Gymnasium. Das war 5 km von Ramstein entfernt und ich
fuhr morgens mit dem Zug zur Schule. Ich hatte etwa eine viertel Stunde Fußweg zum Bahnhof. Es
gab zwei Züge, die zu der Zeit nach Landstuhl fuhren, ein Triebwagen um 7.35 Uhr und ein langer
Fernreisezug um 7.03 Uhr, der von einer Dampflok gezogen wurde und bis Paris-Est fuhr, so stand
es auf den einzelnen Wagen. Ich habe natürlich beide Züge ausprobiert, aber mich dann für Paris-
Est entschieden, denn erstens gab es da kein Gedränge wie im Triebwagen, in dem die meisten
Kinder fuhren, zweitens fand ich immer einen Sitzplatz und drittens, und das war das wichtigste
Kriterium für mich, es roch so schön nach Dampflok.
Die ersten Jahre auf dem Gymnasium machten mir sehr viel Spaß, denn ich war recht ehrgeizig.
Besonders Mathematik liebte ich. Englisch war für mich ja kein Problem, nur meine Aussprache
gefiel der Lehrerin nicht. Ich sprach ein breites texanisch geprägtes Englisch, in der Schule wurde
aber Oxford-Englisch gelehrt.
Mir machten nur zwei Fächer richtig Sorgen. Das waren Turnen und Kunstunterricht. Ich denke,
dass ich genetisch bedingt für Leibesübungen, wie das früher hieß, absolut nicht geeignet war. Vor