Page 7 - Michaels_Buch Februar_neu
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den Dachboden zu betreten, was uns aber nicht daran hinderte, das heimlich doch zu tun. Dort
fanden wir die wunderlichsten Sachen, es gab Kleider aus längst vergangenen Zeiten, Koffer voller
undefinierbarer Gegenstände und einen Zylinder. Der war für uns etwas ganz Besonderes, da wir bis
dahin nie jemanden mit so einer Kopfbedeckung gesehen hatten. Wir wollten ihn aufsetzen, aber
unsere Köpfe waren so klein, dass sie komplett darin verschwanden.
Hinter dem Haus gab es einen kleinen Teich, durch den ein Bach floss. Dort stauten wir das Wasser
mit Holzstücken, die wir vorher bei Onkel Felix aus der Werkstatt stibitzt hatten. Wir warteten
immer ab, bis er seinen Mittagsschlaf hielt und sind dann in seine Werkstatt gegangen. Dort haben
wir uns aus seiner Restebox bedient und auch Sägespäne in einem Sack mitgenommen.
Da wir Onkel Felix nicht leiden konnten, haben wir uns ausgemalt, dass er böse Sachen im Schilde
führen würde. Deshalb beschlossen wir, ihn auszuspionieren. Über der Werkstatt hatte er ein
Holzlager, das man direkt neben dem Stall über eine Außentreppe erreichen konnte. Wir schlichen
uns hinauf und konnten ihn durch die Ritzen im Boden sehr gut beobachten. Er hatte zu der Zeit
schon ein Telefon in seiner Werkstatt und bekam immer mal wieder einen Anruf. Obwohl wir
hofften, dass er sich mit bösen Menschen oder gar Agenten zu konspirativen Treffen verabreden
würde, passierte nie etwas dergleichen und irgendwann gaben wir das Spionieren auf.
Als ich dann später die Bücher von Eric Malpass „Morgens um 7 ist die Welt noch in Ordnung“ und
„Wenn süß das Mondlicht auf den Hügeln schläft“ las, haben diese Geschichten vor meinem
geistigen Auge immer auf dem Anwesen meiner Großeltern gespielt.
1960 Der Diebstahl
Im Jahr 1960 wurde mein Bruder eingeschult und die tränenreichen sonntäglichen Abschiede waren
vorbei. Mein Lehrer in den ersten drei Schuljahren war, wie sollte es auch anders sein, mein Vater.
Das brachte mich in große Gewissenskonflikte, denn ich wusste nicht, wie ich ihn im Unterricht
ansprechen sollte. Alle anderen Kinder siezten ihn und sagten Herr Lehrer, da kam ich mir blöd vor,
wenn ich „Papa“ und „Du“ sagen würde. Also beschloss ich, ihn im Unterricht genau wie die
anderen Schüler anzusprechen, nur in der Pause war er wieder Papa. Das hat mein Vater einfach
schmunzelnd zur Kenntnis genommen.
Ein weiterer Nachteil hat mir aber richtig weh getan. In den ersten drei Jahren meiner Schulzeit
wurde ich immer eine Note schlechter beurteilt. Das war ein Schutzmechanismus der Lehrer, denn
es kam immer wieder vor, dass sich Eltern beim Schulrat beschwerten, die Lehrerkinder würden
bevorzugt benotet werden. Dann kam es zu einer außerordentlichen Prüfung des Kindes. Da die
Kinder schlechter benotet worden waren, hatten solche Prüfungen immer ein negatives Ergebnis.
Ein einschneidendes Erlebnis hatte ich im Herbst 1960. Auf dem Heimweg von der Schule ging ich
an unserem kleinen Supermarkt vorbei. In einem Verkaufsstand draußen lagen Walnüsse. Ich
schaute mich verstohlen um und als ich niemanden sah, schnappte ich mir schnell eine Nuss und
machte, dass ich davon kam. Was ich nicht mitbekommen hatte, war die Tatsache, dass der
Filialleiter mich dabei beobachtete. Er erzählte die Begebenheit meinem Vater und der hatte eine
durchschlagende Idee.
An Weihnachten kam immer der Nikolaus zu uns und bracht allerlei kleine Geschenke mit. Er
sprach zu jedem Kind über seine Verfehlungen und gab Ermahnungen für die Zukunft. Zu der Zeit
hatte ich schon gewisse Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Nikolauses, noch dazu wo ich meinte,
einen Bekannten meiner Eltern zu erkennen. Als er mich aber auf die gestohlene Nuss ansprach,
waren alle Zweifel dahin. Der Nikolaus war echt! Von diesem Zeitpunkt an habe ich nie mehr etwas
in einem Supermarkt mitgehen lassen. Später als ich mit zwei englischen Musikern in einer Band
spielte, gingen wir zum Einkaufen in einen Supermarkt. Die Engländer klauten wie die Raben und
ich war total entsetzt und floh schnurstracks aus dem Markt.