Page 70 - Werder-Schach-Magazin-2015-1
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2. Runde (Samstag, 22. November):
Verden Fight Club
Der Deutsche Schachbund hat sich ordentlich ins Zeug ge-
legt, um eine bundesweit flächendeckende Schachversor-
gung zu gewährleisten. Und so kann man aktuell in Dres-
den das deutsche Frauen-Masters besuchen, etwas weiter
nördlich die Vorrunde der Deutschen Schach-Amateurmeis-
terschaften (DSAM) verfolgen, und wenn man sich noch wei-
ter in den Norden traut, kommt man irgendwann sogar nach
Verden, wo 44 Teilnehmer heute die zweite Runde der Deut-
schen Meisterschaften und viele strenge Züge absolvierten.
Mehr Schach geht eigentlich nicht innerhalb der bundesdeut-
schen Grenzen. Geht doch? Nun gut, heute schalten sich aus der Ferne noch Vishy Anand
und Magnus Carlsen wieder live dazu aus Sotschi, und dann wird es für die Schachfreunde
allenthalben richtig hart, unter all den angebotenen Partien im Netz eine ausgewogene Aus-
wahl zu treffen. Persönlich würde es mich wohl nach Dresden ziehen, cherchez la femme,
und überhaupt, vielleicht auch zu Ralf Mulde nach Magdeburg, der von den DSAM-Turnie-
ren schon viele Jahre mit viel Esprit und einem kenntnisreichen Blick für die freundlichen
Details am Rande berichtet. Und wenn der Fernbus am Verdener ZOB morgens nicht schon
so früh abfahren würde, käme selbst ein Abstecher nach Sotschi zur WM in Frage. Doch
hier in Verden, da möchte ich gar nicht sein!
Verden nämlich, das muss einmal gesagt werden, ist schachlich ein recht hartes Pflaster.
An jedem einzelnen Brett der Deutschen Meisterschaften lauert mindestens ein Gegner
mit respektabler Elo darauf, seinem Spielpartner das Leben möglichst schwer zu machen.
Wenn‘s sein muss wird man stundenlang hier gequält, angesprungen, überrollt, und kaum
einer nimmt so richtig Rücksicht darauf, welche empfindlichen Auswirkungen eine schmerz-
volle Niederlage für das Feierabendglück nach
sich ziehen kann. Kurz gesagt: es ist einfach nicht
immer eine Freude, ein Mitglied unserer großen
Schachfamilie zu sein. Schachfamilie? Fight Club
würde es eher treffen.
So richtig nett und chillig entspannt sind Schach-
spieler ja ohnehin nur, wenn ihre Partie nicht läuft.
Hat aber die Runde begonnen und der Schieds-
richter die Uhr gedrückt, verwandeln wir uns in
wilde Tiere auf der Suche nach dem nächsten vol-
len Punkt (ich ja auch, zugegeben, mit dem Un-
terschied nur, dass wilde Tiere nicht so viel Kaf-
fee trinken). Man sieht es vielleicht nicht, doch
die Ellenbogen werden ausgefahren und jeder
dunkle Trick ist nun erlaubt, um den Gegner, der
ja im Zweifel ähnlich handeln würde, in die Tiefe
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