Page 71 - Werder-Schach-Magazin-2015-1
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zu stoßen. In meiner Jugend gab es zur Abmilderung der schlimmsten Auswüchse dieses
Treibens noch die edle Möglichkeit des Remisangebotes – damals durften Schachspieler
noch selber vereinbaren, wie lang und intensiv sie kämpfen wollten. Leider wird diese noble
Geste auf Betreiben der FIDE mehr und mehr kassiert. Freundliche Unentschieden sind nun
vor dem zwanzigsten Zug und, wenn man ganz großes Pech hat, vor dem vierzigsten Zug
kaum mehr erlaubt. Und so sitzen wir da und wehren uns stundenlang unserer Haut, moder-
ne Gladiatoren, die kämpfen müssen, bis jemand in die Knie geht oder das Reglement gnä-
dig eine Punkteteilung gewährt. The show must go on, doch Autonomie sieht anders aus.
Wenn sonst schon in allen Bereichen des Lebens wütend liberalisiert wird, warum nimmt
man gerade den Schachspielern ihre Freiheit und erlaubt ihnen im Zweifel nicht, die Waffen
zumindest nach zwanzig Zügen auch mal ruhen zu lassen?

Nun habe ich es ja schon lange geahnt und befürchtet, dass man mir und meinem Schach
irgendwann mal auf die Schliche kommen würde. Doch muss es unbedingt hier in Verden
soweit sein? Mein Gegner Rüdiger Kürsten vom SV Lok Engelsdorf jedenfalls hatte keine
Probleme, meine einerdeutschenmeisterschaftunangemessenen Rechenkünste zu widerle-
gen und mir die zweite Niederlage beizubringen. In schlechter, aber optisch für beide Seiten
recht zweischneidiger Stellung hätte ich wohl gerne einmal ein Remisangebot eingeworfen,
doch – siehe oben. Damit habe ich nun stolze 100% nicht gemachte Punkte, und wie ge-
sagt, eine nette Reise nach Magdeburg zu Ralf Mulde, das wäre vielleicht besser gewesen
heute für mich.

Auch Vadim Reimche, Joachim Asendorf und Spartak Grigorian hatten nach langer
Gegenwehr das Nachsehen und helfen mit, dass ich mich am Tabellenende nicht ganz
so einsam fühlen muss. Hinzu gesellt sich zu unserer kleinen Schar noch der Saarländer
Reinhold Müller, der vom Werder Bremen-Schachtrainer Matthias Krallmann sehenswert
ausgeknockt wurde. Sicher aber werden auch wir Tagesverlierer bald noch Punkte machen
und mit etwas Glück eine irgendwie gelungene Partie spielen. Es gibt immer Hoffnung, und
selbst Borussia Dortmund hat ja gerade erst einen Punkt geholt in Paderborn. Darum: wir
kommen wieder! (Allerdings, und wenn es nach mir gehen würde - Vadim Reimche von den
SF Ravensburg darf sich mit seiner Aufholjagd gerne noch ein wenig Zeit lassen. In der drit-
ten Runde nämlich spielt er erst einmal gegen mich.)

Nun aber genug des Trübsals, wer will      Trotz Wanderkönig auch nach sechs Stunden nicht
schon von den Verlierern hören? Und         noch die Ruhe selbst: Thilo Kabisch mit Schwarz
was sollen die deutschen Schachfrau-
en in Dresden von uns denken? Darum                             gegen René Stern
wechseln wir jetzt schnell von den armen
Teufeln zu den glorreichen Tagessiegern!
Den Baden-Württemberger Thilo Ka-
bisch haben wir ja schon erwähnt, und
tun dies auch gerne noch einmal, denn
nicht alltäglich ist es allemal, einen so
versierten Großmeister wie René Stern
mit Schwarz in gutem Stil vom Brett zu
ringen. Glückwunsch noch einmal, Thilo,
sehr beeindruckend!

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