Page 67 - Untergegangene VölkerDie Unvernunft der Gottlosigkeit
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Die moralischen Werte der Ignoranz 65
Rachsucht
Für einen Menschen, dessen Geist das Konzept eines Lebens
nach dem Tod nicht erfassen kann, gibt es keinen Grund, nachsich-
tig oder tolerant zu sein. Das Leitmotiv, dem er folgt stellt ihm
lediglich ein kurzes vergängliches Dasein in Aussicht, und daher
sollte man bestrebt sein so viel wie möglich ’herauszuholen’. Unter
diesen Bedingungen sollten persönliche Interessen ohne Rücksicht
auf Verluste gewahrt werden, und denjenigen, die der Verfolgung
dieser Interessen im Weg stehen, sollte eine ’ordentliche Lektion’
erteilt werden. Dieses Leitmotiv fordert ferner von dem Menschen,
unziemliches Benehmen anderer niemals zu vergessen. Mit einem
Gefühl, verletzt worden zu sein, sollte er, ihm gegenüber verübtes,
ungerechtes Verhalten stets im Gedächtnis bewahren, und auf bald-
möglichste Vergeltung sinnen.
Klagen zu nähren wird fast zu einer Sucht für solch einen
Menschen, und manchmal werden unbedeutende Fehltritte jahr-
zehntelang nicht vergessen. In den meisten Fällen handelt es sich
bei einer Ungezogenheit tatsächlich nur um eine Bagatelle, die so
unbedeutend ist, dass der, dem sie unterlief, sich gar nicht mehr
daran erinnern kann, doch der ’Geschädigte’ ist überzeugt, dass ihr
eine böse Absicht zugrunde lag. In der ignoranten Gesellschaft
führt die Leidenschaft, sich zu rächen oft zu unerwünschten Folgen,
wie körperliche Verletzung oder Mord.
Solch eine Geisteshaltung jedoch schädigt den, der sie hegt, am
meisten. Er fühlt sich beängstigt und glaubt, dass die Menschen, die
ihn umgeben, ihm feindlich gesinnt seien. Er beurteilt jedes
Geschehen im Licht dieses unbegründeten Misstrauens. Indem
solch eine Person all ihre Energie und Fähigkeiten der
Verwirklichung der negativen Anregungen ihres niederen Selbst